Aux Châumage de la pastry

 

Zunächst einmal eine kleine Geschichte. Es ist eine Geschichte von hohem Stellenwert in der Kleingärtnerei sowie in der Käsetranchenberechnung, für alle Leute von großem Nutzen, besonders für die Kunden, den diese kaufen die exakt berechneten Käsetranchen dann ja schließlich. Sie meinen, Sie wollen lieber über Zwerglilienzüchtung lesen? Nun, dazu später etwas.

Zurück zu den Käsetranchen. Hierbei lautet das wichtigste Gebot: Einfallswinkel gleich Ausfallwinkel, sonst könnte es passieren, daß man erwischt wird, weil keine dimensionale Verschiebung mehr vorliegt, und man somit sofort als verdächtig auffällt. Bestenfalls arbeiten Sie ohnehin im Untergrund. Zweiter wichtiger zu beachtender Punkt ist Ihre Wahl des Tranchierwerkzeugs. Die besten Steuerspartips lauten: verdienen Sie nichts, geben Sie all Ihr Geld so schnell wie möglich aus und vor allem aber, und dazu möchte ich jedem einmal empfohlen haben, wäre die Sache mit dem Standort ein bedeutender Faktor. Bewährt haben sich auf diesem Gebiet das ovale ungerillte Tranchierbrett aus Holz. Hier können Sie dann mit Hilfe Ihres aus den Steuereinsparungen finanzierten und sorgsam ausgewählten Tranchierwerkzeugs, wobei ich Ihnen von der Cuisinex Käsetranchierkettensäge abgeraten haben möchte, da der Käseverschleiß hier doch recht hoch ist, die perfekten Käsetranchen herstellen.

Sie haben nun Tranchierunterlage und -werkzeug zwar bestimmt, doch fehlt aber noch der Käse, den es zu tranchieren gilt. Nehmen Sie vorzugsweise einen gelben oder weißen Kuhkäse, auch geeignet ist sehr reifer, harter Ziegenkäse. Einen Anreiz für Käsetranchierer im fortgeschrittenen Stadium stellt sicherlich auch Schimmel- und Nußkäse dar, welchen ich Ihnen im Augenblick jedoch noch nicht empfehlen würde. Wichtig!!! Beachten Sie auf jeden Fall das Verfallsdatum im Katalog!!! Es kommt oft vor, daß Händler versuchen, Ihnen irgendeinen angeblich fast neuen Käse anzudrehen, der tatsächlich bereits mehrere hundert Kilometer über dem Limit gefahren worden ist.

Wenn Sie dann alle Zutaten für ein vergnügliches Käsetranchieren beisammen haben, vergessen Sie auf gar keinen Fall das Wichtigste, den Stimmungsmacher nämlich. Grundsätzlich gilt als Stimmungsmacher alles, was Stimmung macht; Sie können also z.B. ein Konzert besuchen, zu einem Fußballspiel gehen oder nach Hokkaido zum Wandern fahren. Im Grunde macht es gar keinen Unterschied, solange Sie nur Spaß an Ihrer Beschäftigung haben. Wenn Sie dann in der richtigen Stimmung sind, denken Sie nach. Dies ist, ob Sie es glauben oder nicht, der allerwichtigste Schritt beim Käsetranchieren. Denn Sie sollten sich, noch bevor Sie das Messer ansetzen, ein weiteres Mal gründlich überlegen, wie weit Sie gehen können, indem Sie die alleinige Verantwortung sich überlassen. Ein Gespräch unter vier Augen bei Ihrer Bank sollten Sie auf keinen Fall auslassen.

Sind sie sich Ihrer Sache dann endlich sicher geworden, drücken Sie kräftig zu, aber achten Sie darauf, dabei stets in der Vertikalen zu bleiben. Anfangs können Sie an Problemstellen noch die Zickzackmethode verwenden, da Sie sich dies im Laufe Ihrer Karriere ganz von allein abgewöhnen werden; arbeiten Sie jedoch von vornherein grundsätzlich nur mit einer Hand, da dies Ihre ganze Professionalität ausmachen wird. Ist der Käse dann erst einmal tranchiert, nehmen Sie einen neuen und beginnen von vorne. Die Verwendung von Eiern steht Ihnen je nach Geschmack frei, sollte jedoch zumindest einmal ausprobiert werden, da dies mit Sicherheit einen der Höhepunkte beim Käsetranchieren darstellt. Wer noch extremer einsteigen möchte, dem kann der Einsatz von Basilikum, Estragon oder Oregano empfohlen werden.

Abschließend bliebe noch anzumerken, daß eine gewisse »Coolness« bei diesem Akt sicherlich von großem Vorteil sein wird, vor allem dann, wenn Kunden in den Laden kommen - seien Sie immer beschäftigt, das wirkt sich positiv auf die Entfernung der Mundwinkel zueinander aus.

Was das mit Zwerglilienzüchtung zu tun hat, fragen Sie? Nun, das ist schnell gesagt: Zwerglilienzüchtung funktioniert genauso, abgesehen davon, daß man hier statt einem Tranchierbrett einen Blumentopf verwendet.

Dieser Artikel ist ALT. Er erschien zuletzt in der Schülerzeitung des Parler Gymnasiums 1998.

TRENTEMØLLER live: Astrain

 

Man kennt das: Elektronische Musik von Platte - super Sache, voll lässig. Elektronische Musik "live" - der DJ legt selbige auf und tut so, als drehte er dabei hektisch an irgendwelchen Reglern, damit die Platte richtig abspielt. Ein Erlebnis sieht aus Publikumssicht anders aus. Mit dieser Feststellung will hier freilich keiner die Disse dissen, denn da funktionieren die Erwartungen ja bekanntlich anders, als wenn von "live" die Rede ist. Das impliziert Konzert.

Doch genau ein solches gibt es bei TRENTEMØLLER, dem Anders aus dem Vordingborg. Was beim wiederholten Besuch keine freudige Überraschung mehr ist, bleibt hochwillkommen. Aus dem Heimelektriker wird auf der Bühne eine Band. Trentemøller, die Band, ist gute fünf Köpfe stark und hat alles dabei: Schlagzeug, Gitarren, Bässe, und in der Mitte der Namensgeber mit Keyboards, Synthpads und Computer. Und natürlich eine Sängerin, deren Silhouette das eng anliegende Beinkleid zu rechtfertigen weiß. Stichwort Gesäß. Im Hintergrund gibt's zudem noch was für die Augen mit maßgebastelter Lichtinstallation wie immer.

Obschon das Setup zum Abrocken gegeben ist, bleibt die Darbietung dem Genre geschuldet kühl, präzise, klanglich perfektioniert. Der Man im Mittelpunkt ist viel bei sich; erst zur Zugabe kommt ein Hauch von Kenntnisnahme der anwesenden Zuhörerschaft auf. Die Frau am Mikro geht mal eben nach hinten, wenn es für sie grad nichts zu tun gibt. So mag es der Clubber; auch er ist gern bei sich. Nickend wippt er zum Takt. Der Sound stimmt, alles ist verständlich, angenehm laut. Keiner redet von der Bühne ungefragt dazwischen, die Stücke fließen einander. Freie Bahn zur Immersion.

Trentemøller geben den voll kultivierten Chilldance-Abend für Besserfrisierte. Garderobe kostet jetzt schon zwei Euro; wird auch immer teurer. Die Bandshirts sind nur weiße Balken auf abstraktem Schwarz - Ästhetik des Minimalismus. Was sonst? Berliner Bier immer noch untrinkbar, die Leute standesgemäß zur Abwechslung mal nicht voll Assi, trotz Gegend. Kann man wieder machen.

TOP IV 2X16

 

Ein tolles Jahr! Da fällt die Auswahl natürlich besonders schwer. Deshalb sind es auch nur vier geworden. Fünf ist als Toplisten-Zahl so ausgenudelt.

WETTER
Auch 2016 wieder war das Wetter mangels alternativer Gesprächsthemen in aller Munde. War zwar auch schon mal besser, aber in einem Jahr, dessen Höhepunkte man sich wie Rosinen aus dem Christstollen pflücken muß, bevor sich jener zum widerwilligen Verzehr eignet, reicht auch das für eine Bestplatzierung. Es gab Sonne, Regen, warm und kalt. Andere Niederschlagsarten kamen auch vor. Gesamturteil: heiter bis mäßig.

JUN TOGAWA
Ja lebt denn die alte Jun noch? Nach zweimal zehn Jahren Inaktivität gibt es plötzlich gleich zwei neue Alben! Die spontane Begeisterung weicht dann aber schnell der Ernüchterung, da es sich nur um Cover-Alben ihrer selbst handelt, jemals mit einer anderen Band. Erstens Hijokaidan (非常階段), Genre »Noise«, wo die alte Dame offenbar Freude daran hat, ihre zuweilen ohnehin schon widerborstigen Werke weiter zu dekonstruieren. Zweitens Vampillia, was eher nach geradliniger Modernisierung klingt, würde es nicht offenbaren, wie ungeeignet die gealterte Krächze Togawas für ihre Art Baby-Dada-Singsang inzwischen ist. Also nochmal Dekonstruktion. Welches Album jetzt überflüssiger ist, bleibt eine offene Diskussion, die keiner führt. Schön aber: Ja, sie lebt noch!

SCHOTTLAND
Der Schotte, ulkig an sich, ist immer gern gesehen auf dem Block. So freut es natürlich zu hören, daß man sich im kauzigen Norden durchaus vorstellen könnte, in Zukunft irgendwann einmal vielleicht der EU beitreten zu wollen. Nichts lieber als das - ein Leben ohne Mac will sich hier ohnehin kaum einer vorstellen. Von daher: Refugees welcome!

CUP NOODLE XV

 

Weihenacht

 

Wieviele Kurven er auch hatte nehmen müssen, um an diesen Punkt zu gelangen – was zählt, ist optimaler Grip. Was wirklich zählt, ist klar. Rolf wußte das, und so hatte er sich nichts vorzuwerfen. Er hatte ein großartiges Turnier gespielt. Sein Erfolg war die Summe richtiger Entscheidungen. Turnier, so bezeichneten sie im Geschäftskreis das fiskale Jahr. Rolf war sehr zufrieden: Im Jahresertragsmittel nahm der Bruttostrahlungsverlust an nichtwarme Flächen nur einen untergeordneten Stellenwert ein.

Mit seinen Geschäftsfreunden, welche auch seine Freunde waren, verbrachte Rolf den Abend in der Hotellobby und gab sich unverfänglichen Gesprächen hin. Er hatte Glück gehabt dieses Jahr; vom Geschäft verstand er eigentlich nicht viel, seine Position war geerbt. Diese Tatsache vermochte sein Selbstwertgefühl jedoch nicht zu erschüttern. Gekonnt überspielte er seine mangelnde Fachkompetenz mit einer ordentlichen Menge Fäkalhumor. Zusätzlich verlasen ihm seine Helfer per Ohrenstöpsel wirtschaftsphilosophische Anleihen aus den Werken eines Walt Disney. Da er den Ohrenstöpsel nicht verstecken konnte, gab er vor, ihn aufgrund eines sehr seltenen Innenohrmelanons tragen zu müssen, für dessen Erfindung er hochrangige Ärzte bestochen hatte. Mit Stolz verwies er bei Bürobesuchen auf das eingerahmte Attest über seinem Schreibtisch. Auch wenn er nicht der klügste war: dumm war er nicht.

Rolf und seine Freunde machten in Richtlinien zur vollständigen Beseitigung von Behaglichkeitsdefiziten. Die allgemeine Behaglichkeit unter den Partnern indes war gut – ihr letzter Coup, eine Neuauflage der Norminnentemperaturauslegungsfälle, war ein großer Erfolg gewesen. Gemeinsam hatten sie die Gleichheitserwartungen der arbeitenden Gesellschaft erneut schmälern können. Am Anfang waren alle skeptisch gewesen, so wie die Kinder, wenn sie sich einmal an Suppe verbrannt hatten, oder Fliegen. Doch wie in der Branche üblich entwickelte sich Irrtum zu Größenwahn. Die G-28 feierten sich. Champagnerkorken schossen wie Aphorismen über das Ziel hinaus und machten die Decke ihrer Selbstgefälligkeit dem Erdboden gleich, die Lobby schmutzig. Ihre Hüllen wurden zu einer Matrix des Vergessens, als Rolf und Co. ihre Horizonte in ein transzendentales Behaglichkeitssyndrom erhoben und in Gedanken überall Autobahnen anbauen ließen. Sie wähnten sich nun in einem Rausch aus Farben und Formen. Der kollektive Realitätsverlust bildete sich zu einer Klimax aus, und Rolf klimatisierte innerlich.

Dann der Anruf: die Sekretärin war durchgedreht, hatte den roten Knopf gedrückt und die gesamte Mondbasis zerstört, sein geheim aufgebautes kosmisches Imperium zur ultimativen Übernahme der Weltherrschaft lag in Schutt und Asche. Rolf biß sich ein Stück Lippe ab, kaute gut durch und ging zurück zu seinen Freunden. Mit einem Gefühl der Scham, wie man es zuweilen bei alten Stühlen vorfindet, gestand er ihnen sein Scheitern.

Rolf hatte gewettet und verloren, nun mußte er den Preis bezahlen. Er schlüpfte in das rot-weiße Guccikostüm und zog mit nichts als einem Leinensack in die Lande, gefüllt nur mit dem nötigsten, um sich die Langweile zu vertreiben. Unterwegs wurde er dann jedoch von gierigen Kindern überfallen; sie nahmen ihm seine Habe ab und warfen ihn in einen Kamin. So verwirklichte unser Held doch noch seinen Traum; sein Mythos ward geboren. Das alles geschah an Ostern oder Weihnachten oder dazwischen, im Jahr der Geburt Jesus.

Ende.

FRENZY: Parabolisch

 

Der Schlechtfühlfim des Jahres kommt aus der Türkei. Eine Quasi-Dystopie minus Futurismus, angereichert mit den Themen von heute; Terror, Paranoia, Unterdrückung.

Ein alternder Häftling erhält einen Bewährungsdeal. Zu seiner Freiheit soll er in einer verdeckten Polizeiaktion als Schnüffler arbeiten. Die zu schnüffelnden Substanzen sind Bombenzutaten. Es gibt einen Crashkurs in Geruchserkennung, dann geht es ab auf die Straße, Mülltonnen durchwühlen und Schrott katalogisieren. Wer keine brauchbaren Infos liefern kann, kommt zurück in den Knast. Das will Kadir (Mehmet Özgür) freilich nicht. Gewissenhaft tippt er tägliche Berichte in seine Schreibmaschine.

Kadir hat(te) zwei Brüder. Der jüngere ist zehn Jahre verschollen, der jüngste, Ahmet (Berkay Ates), erinnert sich kaum noch an Kadir. Entsprechend unbeholfen ist die überraschende Wiedervereinigung. Man kennt sich nicht. Ahmed hat selber dick Probleme; die Familie ist ihm davongelaufen, und seine Arbeit als Hundeerschießer ist sichtlich ungeeignet, die Lücke in seinem Leben zu füllen. Erst als er einen der Hunde heimlich adoptiert, nachdem er bei dessen Tötung versagt hat, kehrt ein Anschein von Sinn zurück. Doch der Akt milder Ordnungswidrigkeit geht mit einer zunächst nur schwer irrationalen Obrigkeitsangst einher, die schnell zum totalen Verfolgungswahn ausartet.

Wenn eines unklar bleibt im oppressiven Sperrwerk FRENZY (Abluka), dann alles. Wohin die Reise geht, ist zu keinem Zeitpunkt absehbar. Doch zwischen Momenten der Handlung entfaltet sich eine Düsterkeit, die wenig Hoffnung darüber läßt, ob jenes Ziel ein gutes ist. Natürlich ist es das nicht. Draußen schwelt ein Krieg zwischen unsichtbaren Attentätern und einer abstrakt einschüchternden Staatsmacht, die das Leben der Protagonisten nicht direkt zu betreffen scheint und doch alles vereinnahmt.

Benannt oder zeitlich verortet werden diese Kräfte bewußt nicht. Regiemeister Emin Alper war nach eigener Aussage bedacht, einen universellen Film zu machen. Dessen Entstehung im Jahr 2014 schließt einen Kommentar zur brandakuten Lage der Türkei 2016 zwar aus, ist von der jüngeren Landesgeschichte aber offensichtlich mehr als inspiriert. Der Austragungsort ist erkennbar Istanbul, doch es sollte auch ein Land vor unserer Zeit sein können. Die gewollte Uneindeutigkeit erzeugt im unbedarften Seher Konfusion. Eine zeitlose Parabel mit Gegenwartsbezug, eine politische Stellungnahme als hypothetisches Fallbeispiel, eine globale Geschichte mit Lokalflair. Was denn nun.

Die gefährlich frustnahe Unsicherheit darüber, wie das Gezeigte zu interpretieren sei, ist der potenzielle Fallstrick, den FRENZY nur dadurch übersteigt, daß genau dies die Pointe ist - Unsicherheit als negative Emotion. Die Herren auf der Leinwand waten darin, Alper macht sie seinem Publikum filmisch spürbar. Die Häßlichkeit des Lebens in schönen Bildern - so schön, wie man verwahrloste Vororte, Müllhaufen und Hundeleichen eben aufnehmen kann. Eine Ästhetik der Klaustrophobie auf weiter Brache.

Nein, schön im Sinne von schön ist das alles nicht. Allenfalls schön beklemmend. Die Welt ist großer Mist, in Alpers Film und in echt. Zumindest diese Frage bleibt nicht offen.

NERUDA: Ein Gedicht

 

Pablo Neruda (Künstlername), Chilene, 1904 - 1973. Dichter, Schriftsteller, Politiker, Aktivist, Kommunist. Diese Person stellt die Inspiration zum Biofic NERUDA, dem Oscarkandidaten von Pablo Larraín. Viel mehr muß man nicht wissen, viel mehr erfährt man nicht. Die historische Lektion des Films ist es, daß ein Mann dieses Namens existiert hat und aufgrund politischer Verfolgung des Landes fliehen mußte.

Das Jahr der Handlung ist 1946. Neruda, der Dichter, ist als solcher ein Schöngeist, der mit glattgeschminktem Gesicht und theatralischer Stimme literaturnobelpreisgekürte Schmonzetten vorträgt. Neruda, der Senator, ist ein spitzzüngiger Konfronteur, dessen Kritik am despotischen Präsidenten Gabriel González Videla von diesem nicht geduldet wird. So verliert Neruda seine parlamentarische Immunität und beginnt die Flucht, welche sich unter der Schwere einer Erzählstimme - dazu später mehr - schnell der Bodenhaftung und jeglichen Anspruchs auf historische Genauigkeit befreit.

An Stelle einer Biografie präsentiert Pablo Larraín viel mehr eine Interpretation seiner Hauptfigur. Nicht Zahlen und Fakten, sondern Gefühle und Stimmungen bilden das filmische Fundament. Der Poesie Nerudas wird mittels der Poesie der Bilder Respekt gezollt. Das könnte nicht funktionieren, wären die Einstellungen, das Licht, die Schauplätze nicht so bestechend schön komponiert wie seine beinahe pausenlose klassische Musikuntermalung. Stichwort Grieg. Ein Film ganz für die Sinne also, mit Ausnahme der beharrlichen Erzählstimme. Dazu später mehr.

Neruda, der Flüchtige, von Luis Gnecco trefflich verkörpert, verbringt seine Tage in der heimatlichen Idylle seiner bessergestellten Kommunistenfreunde, lebt das gute Leben und schreibt. Derweil hat Óscar Peluchonneau es schwer. Der karrieregeile Polizeichef hat den Auftrag, Neruda zu schnappen. Doch der ist immer einen Schritt voraus, Peluchonneau immer einen Augenblick zu spät. Für den Häscher wird Neruda zur Obsession, was die Erzählstimme unmißverständlich zu Wort bringt. Dazu gleich mehr.

NERUDA, der Film, bedient sich gekonnt der Schlüsselszene. Diese kann hier natürlich nicht verraten werden, sorgt aber in ihrer Folge für eine erzählerische Schwerpunktverschiebung vom Verfolgten hin zum Verfolger, dessen Stimme aus dem Off dem immerguten Gael García Bernal in seiner Rolle als Peluchonneau gehört. So wie die Geschichte mit fortschreitender Laufzeit an Fabelhaftigkeit gewinnt, wird jener Kommentar dazu stetig manischer. Neruda wird für den Häscher zur Raison d'être, während er ihm physisch und dem Publikum konzeptionell entgleitet.

»Show, don't tell« heißt es - doch selbst der Einsatz eines Erzählers aus dem Off ist nicht kategorisch zu verurteilen, nur meist schlecht verwirklicht oder schlicht überflüssig. In NERUDA greift das Stilmittel, weil Erzählung im Text und Erzählung im Bild sich wunderbar ergänzen, ein gemeinsames Ziel verfolgen, sich gegenseitig verstärken. Zum träumerischen Pathos von Bild und Musik gesellt sich wohlig-warmes Bettgeflüster.

Wer das Gewäsch im Film und hier im Text nun als »prätentiös« verschreit, hat recht, bedeutet dieses Adjektiv, als Kritik geäußert, doch zirka genau »Ich fühle mich intellektuell eingeschüchtert« und ist ein gutes Mittel, Gefallen oder nicht eines solchen Werks rechtzeitig einzuschätzen. Ein verkopftes Stimmungsstück ist es, eine filmische Zelebration seiner selbst, mystisch, ungreifbar, meta meta. Doch wer sich darauf einlassen mag, gewinnt ganz groß.

SAFARI: Nur du und das Stück

 

Ulrich Seidl hat mal wieder einen Dokumentarfilm gemacht. Thema: siehe Titel. Genauer: Wir beobachten den weißen Lusttöter, der extra nach Gesamtafrika angereist ist, um das eine oder andere Stück zur Strecke zu bringen. Stück = Tier, wie z.B. Zebra, Gnu, Giraffe. Er tut das, weil er's geil findet, aber nicht geil genug, um eine vernünftige Kamera mitzubringen, weshalb die Trophäenfotos mit dem Handy gemacht werden müssen. Außerdem, das Schießen mit dem Gewehr ist schon teuer genug. Denn jedes Stück hat einen Listenpreis im Reservat. Weil ein Zaun das etliche Quadratkilometer große Gebiet umspannt, handelt es sich also nicht um Wildnis, nicht um Wild und auch nicht um Wilderei.

Seidl garantiert, daß allen gezeigten Tieren tatsächlich Gewalt angetan wurde; man darf dabei sein beim Ausspähen und Erschießen, beim Gruppenfoto mit Kadaver, beim Abtransport mit dem Kranwagen, bei der Häutung, Entweidung und Zerlegung, und zu guter Letzt sieht man noch dem schwarzen Gutsdiener bei der Resteverwertung zu, als er der Regie folge leistend mit starrem Blicke in die Kamera auf einem Knochen nagt. Dazwischen horcht man, zu allerlei erheiterndem Ekel, den stilisiert unter gestopften Tierköpfen gefilmten Aussagen der Jagdgäste zu, wie sie ihre orgasmischen Gefühle nach dem Abschuß beschreiben oder erklären, wie die Tötung Einzelner den Tieren insgesamt hilft, man erwische ja ohnehin nur die alten und schwachen.

Max Moor, der früher mal Dieter hieß und im Film nicht vorkommt, ihn aber anmoderieren darf, sagt es so: Man fühle sich immer schlecht nach einem Ulli Seidl Film und zugleich als besserer Mensch; immerhin sei man nicht so schlecht wie die im Film. Als rechter Karnivore aber darf die Wildjagd in der Steppe nicht erschüttern. Fleisch ist lecker, und immerhin wird voll verwertet: Es gibt eine Trophäe für die Wand, einen neuen Teppich aus Echtfell und massig Mahlzeit auf den Tisch. Verkommen tut nichts, auch kein Filmmaterial - Seidl zeigt alles, was er hat, ruhig, sicher, erfahren. Ganz schnell steckt man drin im Geschehen und kann nicht mehr wegdenken. Der Sog der Widerwart ist stark in SAFARI.

Empörung darüber, daß man das Tier töten muß, bevor man es essen kann, ist freilich schwer geheuchelt. Unbedarft anstoßen möge man sich hingegen an der Wollust und dümmlichen Rationalisierung, welche die Akteure dem Akt entgegenbringen. Was Seidls Subjekte, die Safaristen, zu dieser Diskussion und ihrer Darstellung im Film nach dessen Sichtung beizutragen hätten, will ein Zuschauer wissen. Seidl: »Diese Menschen haben dazu nichts zu sagen. Weder die Schwarzen noch die Weißen.«

Also: Der fette Weiße will Fleischfresser sein, sich aber nicht die Finger beschmutzen. Ein paar intellektuelle Fußgänger werden steif/feucht dabei, wenn sie eben jenes tun dürfen. Ein Regisseur mit feinem Händchen dreht zu unser aller Belustigung einen Betroffenheitsporno darüber. Klassische Win-Win-Win-Situation.