Zwei Landschaften

 

Links die Fakten – auf zur Interpretation. Welches Bild gewinnt?

Das Mars-Foto war definitiv teurer. Auch wenn man die Kosten der Spirit-Mission auf sämtliche Fotos aufteilt, ist es immer noch teurer. Genaue Zahlen erübrigen sich hierbei; jedem sollte klar sein, daß ein paar hundert Fotos einer milliardenschweren Marssonde immer teurer bleiben werden als ein paar Papierfetzen und Klebstoff. Trotzdem: Wäre das Kunstwerk unten nicht irgendwann (wahrscheinlich) weggeschmissen worden, könnte es womöglich einen Preis erzielen, das Mars-Foto aber kann sich jeder für lau in Riesenauflösung runterladen. Dieses eine wurde gewählt, weil es zur ersten empfangenen Fotoserie der Sonde gehört. Was zeigt, daß die NASA weiß, was sie tut und einen sicheren Landeplatz gewählt hat, an dem absolut gar nichts los ist.

Was wiederum mal wieder klar macht: Der Baum, der im Wald umfällt, macht eben nur dann ein Geräusch, wenn auch jemand zusieht. Jetzt wurden zwei Sätze hintereinander mit »Was« begonnen. Wichtig oben: Der Mars bestätigt sich als »roter Planet«, ist aber gar nicht so arg anders als unserer. Eigentlich ist es nur die Faszination des Ungreifbaren, weit Entfernten, und daß es ECHT ist. Was die Faszination zu einer ganz anderen macht, als wenn man ein Buch läse. Auch wenn es nichts zu sehen gibt (also auf dem Foto): Irgendwie schon toll, oder? Jetzt ist der Mars plötzlich keine abstrakte Fantasie mehr, sondern eine zwar einfache, aber eben nicht beliebige bildliche Grundlage zur »Wanderlust«, wie der Amerikaner sagen würde. Wollen Sie da nicht auch hin? Nur mal so ein bißchen rumwandern? Au, dieses Kribbeln. Erst werden Sie erstarrt sein vor Überwältigung und dann nicht mehr aufhören können zu laufen, um möglichst jeden Winkel dieser atemberaubenden Ödnis zu erfassen.

Unten fällt zuerst auf: die Hochhäuser, der kackbraune Himmel, die autofreie breite Straße im Vordergrund und davor ein Kiesplatz oder so was, auf dem sich der Betrachter befindet, darin wahrscheinlich eine Pfütze. Perspektivisch nicht ganz einwandfrei, aber gut genug, um einen glaubhaften Eindruck von Räumlichkeit zu vermitteln. Erst dann fällt die Zweidimensionalität der Bildmaterialien auf, insbesondere der zusammenhängende Lageplan, der das ganze Szenario definiert.

Wenn der Ekel aufhört, fängt die Perzeption von Schönheit an. Auf diesem Bild werden Ihre Augen die meiste Zeit verbringen, denn es gibt mehr zu entdecken. Der ruhige Mars hingegen regt das philosophische Gemüt an. Es steht 1:1. Trotzdem: Finden Sie Ihre eigenen Argumente, die Ihr Lieblingsbild zu dem besseren Bild machen. Der Block hat nur die Suppe ins Rollen gebracht, die Sie jetzt ausbaden müssen. Wieder einmal. Ist eine Sauerei, ist aber so.

Dieser Artikel ist ALT. Er erschien zuletzt im Kulturmagazin »remède de cheval«.

BARKING DOGS NEVER BITE: Die Farbe Gelb

 

Es war das Jahr 1999, als sie in China Hunde aßen. Das war schön skurril, albern und düsterhumorisch. Das Hundeessen entpuppte sich aber als reine Redensart. Welch herbe Enttäuschung für alle leidenschaftlichen Canivoren* unter den Cineasten.

Ein Jahr später in Korea dann die Katharsis: Endlich muß der Vierbeiner dran glauben. Mittels Texttafel wird vorsichtshalber noch vor der ersten Einstellung erklärt: Nein, es wurden keine Tiere gequält. Denn so lustig Bong Joon-Hos Spielfilmdebüt meistens ist, so realistisch wirkt die Gewalt, die den titelgebenden Hunden hier zuweilen widerfährt. Dabei meint es Yun-ju gar nicht böse.

Denn Yun-ju (Lee Sung-jae), angehender Lehrer, steckt in seiner kleinen, anonymen Wohneinheit der Tradition Plattenbau und auf der Schwelle zur Vollbeschäftigung fest. Er erträgt die Launen seiner schwangeren Frau, während er das Geld für eine „Gefälligkeit“ zusammenkratzt, die ihm endlich den ersehnten Job garantieren soll. Von der Situation völlig gestreßt, fällt seine Reaktion auf das Gekläffe des Nachbarhundes extrem aus. Der Hund wird zur Projektionsfläche seines Unmuts, und Yun-ju bringt fortan mehr Zeit und Energie dafür auf, sich der Ruhestörung zu entledigen, als zur Bearbeitung seiner tatsächlichen Probleme. Währenddessen muss Hyeon-nam (Bae Doona) auf dem Bürgeramt ungewöhnliche Mengen Vermißtenposter für ehemalige Hundebesitzer abstempeln, bis sie per Zufall auf eine heiße Fährte stößt. Und dann ist da noch die Geschichte von Boiler Kim, dem legendären Installationsfachmann, dessen Geist im Keller des Wohnkomplexes sein Unwesen treiben soll.

Für BARKING DOGS NEVER BITE ist eine inhaltliche Zusammenfassung nicht nur beschwerlich, sondern weitestgehend redundant, denn weder verfolgt Bong Joon-Ho hier einen klassischen Spannungsbogen, noch findet sich der Reiz des Films in seiner Geschichte. Vielmehr wird hier eine Reihe von Momentaufnahmen präsentiert, von Charakteren, die als Außenseiter stilisiert werden und doch gewöhnlicher nicht sein könnten. Das Gros der Handlung verweilt innerhalb des Wohnblocks oder seiner unmittelbaren Umgebung, wo Nachbarn Fremde sind, wo niemand wirklich sein will und doch die meisten Menschen nicht loskommen. Hier sind Haustiere zwar verboten, doch niemand hält sich daran, wie der Hausmeister erklärt. Es ist das perfekte Umfeld für eine schön skurrile, alberne und düsterhumorische Situationskomödie, und Bong Joon-Ho holt alles heraus.

So zum Beispiel aus der graubraunen Eintönigkeit seines Settings. Wer jüngere Filme des Regisseurs bereits mit wachem Auge gesichtet hat, mag einen gut fotografierten Film erwarten. Doch es ist offenbarend zu sehen, wie unter Bong Joon-Hos Anweisung interessante und ansehnliche Aufnahmen aus dem Betonblock entstehen, die bei aller Experimentierfreude zugleich instrumentell sind für den Transport der Stimmung von Bildfläche zu Großhirn. Denn dies ist eine Komödie ohne Witze, eine Komödie, deren Humor zuvorderst aus visuellen Mitteln geschöpft ist, welche über alle Sprachbarrieren hinweg funktionieren. Untermalt wird sie von einem fürs Koreakino untypischen Jazzsoundtrack, der in seiner wilden, ungestümen Anmutung perfekt den Ton trifft.

Damit all das funktioniert, ruht unter der wilden Fassade ein disziplinierter Kern, an dem Handlungsstränge und Figuren sinnvoll zusammengeführt werden. Lee Sung-jae spielt als Yun-ju die Hauptrolle, eine Zeitlang, bis er in der Dynamik des Skripts irgendwann, vom Zuschauer weitestgehend unbemerkt, das Staffelholz an Bae Doona abgibt. Mit einer Mischung aus theatralischer Mimik und Mut zur Gewöhnlichkeit schlägt sie sich in ihrer erst zweiten Filmrolle hervorragend und kann das Geschehen sowohl komisch als auch emotional anreichern. Durch ihre Hyeon-nam eröffnet sich eine zweite, dem westlichen Publikum vertrautere Perspektive auf das Verhältnis zwischen Mensch und Hund - Freund statt Vieh. Daß diejenigen, die den Hunden hier mit Empathie begegnen, allesamt Frauen sind, ist sicherlich nur Zufall.

Bong Joon-Hos Debüt verdient es nicht, nur eine Kuriosität für Kenner zu sein. In seiner Raffiniertheit und Stilsicherheit, seinem aberwitzigem Humor und Charme ist dies der Film, der als Bonusmaterial auf der Bluray von The Host diese erst kaufenswert macht. Ja, The Host ist harter Scheiß, und BARKING DOGS NEVER BITE ist der Shit.

*kein Tippfehler, sondern Wortwitz

MOUSE ON THE KEYS live: !@§%$§#?$&*

 

Zwei Pianisten, ein Schlagzeuger. Zwei Jazzer, ein Irrer. MAUS AUF DEN TASTEN, wie sich die Japaner in hart einstudiertem (aufgeschriebenem)  Deutsch vorstellen, sitzen im U, wie in einem Seminar. Man ist schließlich hier auf Arbeit; es ist höchste Konzentration gefordert. Dann geht es los. Vor einer funkelnden Lichteffekt-Wand rastet der Musikkongress komplett aus.

Akira Kawasaki verprügelt sein Schlagzeug, daß alles zu spät ist und bleibt dabei irgendwie kühl. Die Frisur sitzt. Kawasaki steht auf, stellt sich auf seinen Stuhl und besorgt es dem Instrument von oben. Ein kurzer Positionswechsel für den Pfiff. Bei allem Gehampel sind die Anschläge pro Minute bemerkenswert an der Zahl. Was beim Drum & Bass ein elektrisches Kinderpiel ist, erzeugt Kawasaki in müheloser Schwerstarbeit ganz analog. Das scheiß Schlagzeug kriegt heute derb eingeschenkt. Mach fertig die Drecksau.

Der Bassanteil derweil wird von den namhaften KEYS substituiert. Atsushi Kiyota, der Chaot, macht was er will. Die Tasten vor ihm können ihn mal. Da wird reingekloppt, wie der Finger grad fällt. Jazz, bitches. Kiyota steht zwar nicht auf, legt aber durchaus mal die Faust an, macht den Ellenbogen. Momente der Renitenz inmitten subtiler Ordentlichkeit. Was an der Schnittstelle von Finger und Taste nach feinmotorischem Laissez-faire aussieht, ist in Wahrheit streng choreografiert. Den Eindruck gebietet zumindest der Respekt vor der Kunst.

Indes: Daisuke Niitome, von Beruf Zweitpianist, wirkt grau und eminent. Das liegt daran, daß sein Gesicht ins Publikum zeigt, die Hände also hinter Gerätschaft versteckt sind. Niitome ist allein deswegen kein Hingucker, aber mit Sicherheit total wichtig. Das sagt die Aura.

Ganz anders das scheiß Publikum. Kiyota liest ab: "Ihr seid scheiße." Danach verbessert er sich. Wer hat der Gelbnase verklickert, daß das hier gut ankommt? Wer immer auch es sei: Richtig so. Der ironische Flirt hat die erhoffte Wirkung. Vor allem, weil die gut gekleideten Herren auf der Bühne damit die Punkerseele kundtun, welcher man im gentrifizierten Berliner Hipstersumpf so wehmütig nachsehnt. "Scheiße" ist ohnehin deren Lieblingswort. Es sollte diesen Abend nicht zum letzten Mal fallen. Man lebt die Freiheit aus; in Japan sind solche Worte ja kulturell streng untersagt. Viel zu höflich, die Japaner.

Ausführlich, kompetent und fein, vor allem aber absolut mitreißend. Das sind MOUSE ON THE KEYS. Und bitterarm natürlich, weswegen sie wie alle Musiker darum betteln, man solle doch bitte Tassen und T-Shirts kaufen. Oder auch Poster und CDs. Doch die T-Shirts sind leider langweilig, die CDs ohnehin schon im Regal jeden wahren Fans. Oder auch nicht, heutzutage ist ja alles in der Cloud. Vorallem die Köpfe. Scheiß Jugend.

Titel der Geschichte: Eichhörnchenstreet

 

Eichhörnchenstreet. Das sind sehr putzige Tiere, aber in Berlin-Kreuzberg sind sie nicht arg verbreitet. Stattdessen die Bettlerin mit ihrem Schoß auf dem Kind, was schockierend wäre oder zumindest eigenartig, glücklicherweise aber genau andersherum ist. Normale Welt.

Wie ich die Straße hinabgehe, kommt mir die zweite Schicht entgegen, man sollte nicht meinen, Bettelei sei Faulheit und Schmarotzertum. Das ist nicht leicht, den ganzen Tag im Abgas zu sitzen. Unten am Boden, an der Bordsteinkante, wo der Ozongehalt am größten ist, völlig im Widerspruch zum Bettlergehalt. Ein Knochenjob für ein paar Kröten.

Ja sicher haben Kröten ein Skelett, selbstverfreilich, nur ist das viel kleiner als beispielsweise beim Menschen, weshalb das oft verwechselt wird.

Kröten sind in Berlin-Kreuzberg auch nicht so viele unterwegs. Zumindest sind mir während meiner zahlreichen Besuche niemals welche aufgefallen, vielleicht schaue ich einfach nicht gründlich genug hin. Zumindest in gepflegter Glaskastenhaltung ist von einer gewissen Populationsmenge auszugehen, immer vorausgesetzt, die biologischen Führer lassen sich darauf ein, die Summe der Einzelhaltungen zu einem "engeren Gebiet" zu erklären. Zumindest beschreibt es der Duden so. Aber wie jeder politische Exkurs endet auch die Diskussion um Kröten in der Innenstadt in feingliedrig überladenem und dabei schwerfällig gewordenem Geplänkel. Sehen wir es doch ein: Kröten gehören in die Außenstadt. Strich unter dieser Rechnung.

These: auch komplexe Probleme verdienen einfache Lösungen. "Reich mir den Prosektor" schimpfte kleinlaut Professor Name, ein Etymoliker übelster Prägung, der seine Kollegen in Stetigkeit mit Fachbegriffen wie antizipando und Barbecue nervte. Es war eine Party, auf der ihn niemand haben wollte, weshalb auch vergessen wurde, ihm eine Einladung zu schicken. Aber Wände haben nun mal Ohren und der Professor einen Hausschlüssel. Es war ein bißchen wie früher. Erfolgreich hatte er sich damals gegen die Knaus-Ogino-Methode durchgesetzt.

Neben Schaumwein und Fischbrötchen gab es natürlich auch noch was vom Fach an diesem Spätnachmittag. Aufwendige Projektionstechnik sorgte für ästhetische Freiheit in Form von Schaubildern auf Leinwand.

"PATCHWORK ist eine legitime Methode zur Informationsaufbereitung in einem perversiven Stressorenkontext. Deus ex machina!"

Aber auch eine hochspezialisierte Maschine macht nicht alles sofort und auf einmal, und sie prozudiert Fehler. So hatte Professor Name noch alle Zeit seiner eigenen kleinen friedfertigen Welt, mit Hilfe des Rückwandprojektors und dem Fischbrötchenstand lustvolle Schattenspiele zu veranstalten, während er sich hinter der Leinwand vor der Abscheu seiner Kollegen in Sicherheit wähnte. Vorne lauschten die Deletierten aus Kultur, Presse und Bildung gebannt einem Gastvortrag über diverse Dinge.

Ich bin in einen Comicladen gegangen. Diesen Satz möchte ich gern so stehen lassen. Wenn das Leben reiner Selbstzweck ist – besser: wenn man sich damit abgefunden hat, daß das Leben reiner Selbstzweck ist, muß man vernünftigerweise Geschichten aus dem Leben gleichermaßen als Selbstzweck betrachten und hinnehmen. Und wenn die ganze Geschichte Selbstzweck ist, ist dem einzelnen Satz innerhalb dieser Geschichte das gleiche einzuräumen. Ja freilich, ich hör sie schon wieder rufen, die Literaten, mit ihren Einsprüchen und Widersprüchen! Literatur als Selbstzweck, geht's eigentlich noch? Wir nähren hier den kulturellen Hunger unserer Mitmenschen, oder besser Bürger, ohne den wir uns gar nicht Zivilisation schimpfen dürften! Ich verweise an dieser Stelle auf meinen verzwickt-verzweckten Satz Eins, Absatz Neun.

Es darf jetzt nachgedacht werden. Ich will keine tiefschürfende Aussage treffen, aber dennoch: wer an dieser Stelle nicht verstanden hat, ist dumm. Und ich möglicherweise ein schlechter Literat, weil ich nicht anders zu provozieren weiß, aber dieses Urteil dürfen andere fällen, in ihren eigenen kleinen friedfertigen Welten.

Ich verlasse also diesen Comicladen wieder (nachdem ich mir darin schön Bildchen angeguckt habe) und nehme den gleichen Weg zurück zur U-Bahn. Dabei fällt mir auf, wie schnell doch meine ursprünglichen Gedanken zum Bettelwesen, aus denen ich gern eine eigenständige Geschichte geschrieben hätte, verflogen waren. Bettlerin mit Kind scheint zudem den Standort gewechselt zu haben. Nahtlos schließen an solche Empirismen Konsequenzen an. Was beim Patchwork nicht fehlen darf, ist ein wiederkehrendes Motiv. Besser mehrere, darunter ein offensichtliches Leitmotiv für die Oberflächlichen und ein oder zwei subtilere, die sich erst bei kluger Analyse ergeben. Gut sind auch zwei konkurrierende Leitmotive, die ein drittes Motiv cachieren, indem sie den Betrachter vor die langwierige, verwirrende Aufgabe stellen, unter diesen beiden den intendierten Schwerpunkt auszumachen. Auf der vierten Ebene, oder bei wieviel auch immer ich grade bin, kommt dann eine Aussage ins Spiel, die alle Motive umgibt, gern auch, indem sie gerade in der Konkurrenz dieser Motive zu finden ist. Im nächsten – und finalen – Schritt verliert sich das Werk dann so sehr in seinem eigenen Selbstzweck, daß es für den Betrachter unerträglich wird, für den klugen, weil er die Nichtigkeit des Gezeigten erkennt, für den dummen, weil er glaubt, von einem zu hohen intellektuellen Niveau stehengelassen worden zu sein, oder, häufiger, bedingt durch seine, des Werks, Zielgruppe, weil er, der Betrachter, glaubt, es, das Werk, verstanden zu haben. Glaubt, wohlgemerkt.

Am Kottbusser Tor sind beim Umsteigen von U8 auf U1 nicht unerhebliche Höhenunterschiede zu überwinden.

THE WITCH: Einbildung ist auch eine Bildung

 

Robert Eggers hat recht. Fragen an den Regisseur nach dem Inhalt seines Films und der Bedeutung von diesem und jenem sind fehlgeleitet und nervig. Zum einen grundsätzlich, und in Bezug auf THE WITCH auch im Speziellen. Den Ereignissen des Films wohnt bezüglich ihrer Wahrhaftigkeit innerhalb der eigenen Handlung eine gewisse Ambiguität inne. Was ist tatsächlich geschehen mit der Familie von William (Ralph Ineson) und Katherine (Kate Dickie), die sich in Folge eines Auslegungsstreits um ihren christlichen Glauben aus der Gemeinde exkommunizieren ließen und einsam aufs Land zogen, wo sie fortan nichts als Unglück heimsuchte?

In der Auslegung des Mainstream, nicht zuletzt der Werbung für THE WITCH geschuldet, spielt sich hier eine übernatürliche Geschichte um den Teufel auf Erden ab, der die isolierte Familie mit Sünde lockt, die Kinder zur dunklen Seite zu bekehren sucht und das Leben allgemein zur Hölle macht. Das Jahr ist 1630, der Schauplatz Neuengland. Der Mais verfault auf dem Acker, die Tiere spielen verrückt, und Thomasin (Anya Taylor-Joy), die älteste Tochter, verliert den jüngsten Sohn beim Spielen auf unerklärliche Weise. Dafür erntet sie den Spott der jüngeren Geschwister, das Mißtrauen der Mutter und schließlich den Vorwurf, eine Hexe zu sein. Die Luft wird dick, die Familie zerreißt. Bald wird es mehr Opfer geben. Wer ist das schwarze Schaf, das sich vom Teufel hat verführen lassen?

In der gleichwertigen, rein atheistischen Auslegung der Handlung treibt sich die Familie mit einer vom Aberglauben getriebenen Hetze selbst in den Wahnsinn. Man könnte das durchaus als Anprangerung des puritanischen Glaubens verstehen, der in Neuengland noch spät verbreitet war und wahrscheinlich vereinzelt noch heute anzutreffen ist. Wenn eines der Kinder im Wald einer leibhaftigen Hexe begegnet, so muß das im Film ja noch lange keine bare Münze sein. Vielleicht bezeugen wir auch einfach nur die irren Hallus der wortwörtlich verzogenen Brut. Denn wer ernsthaft an Hexen glaubt, ist schließlich nicht ganz knusper.

Es heißt, im alten England seien Filmbesucher scharenweise aus den Kinos geströmt, als ihnen dämmerte, daß THE WITCH gar kein dumpf reißerischer Horrorfilm ist, sondern ein eher gemächliches Familiendrama mit ein wenig Metaphyse hier und da. Für Bessergucker ist das natürlich ein Plus, weil auch was fürs Hirn geboten wird. Lobend zu erwähnen ist da wie üblich die Besetzung, insbesondere Ralph Ineson als Vati und Anya Taylor-Joy als Tochti, die sich trotz des beharrlich altenglischen Dialogs überzeugend schlagen. Ob das ganze am Ende gefällt, hängt aber sehr von der Interpretation des Gezeigten ab. Und da liefert Robert Eggers zu Recht keine endgültige Antwort.

THE SURVIVALIST: Urgewalt im Urwald

 

Scheu stolziert der Überleber durchs Unterholz. Behutsam näselt dabei die Spitze seines Gewehrlaufs nach Gefahr. Unter seiner Obhut ist ein kleiner Garten, der Zwiebeln und Rettich beherbergt. Der Urin des Überlebers düngt seinen Boden. Es gilt, das Revier abzustecken. Der jüngste Zwist endete für einen Rivalen tödlich.

Abends in der Kabine wird Feuer entfacht, Zwiebelsuppe gelöffelt und masturbiert, zum Foto einer Unbekannten, das dem steifen Körper seines Ex-Besitzers geraubt wurde. Das Leben geht seinen Gang, doch die Anspannung in all der Routine ist spürbar.

Da plötzlich raschelt die Alarmanlage, ein paar Blechbüchsen an einem Busch. Zwei Weibchen haben sich ins Revier des Überlebers verirrt. Dieser ist auf der Hut. Als Herrchen mit dem langen Lauf ist die Macht auf seiner Seite, und doch ist Vorsicht geboten, denn im Überlebenskampf kann diese Macht schnell kippen. Die Weibchen sind auf Futtersuche, das Herrchen rollig wie immer. Schließlich gelingt es dem jüngeren der Weibchen, welches sich im besten gebärfähigen Alter befindet, das Herrchen zu bezirzen. Sex für Futter heißt der Tausch. Die Weibchen nisten sich ein, das Überleben nimmt eine Wendung. Denn die Ressourcen sind rar und kostbar, das Mißtrauen immerwährend.

Stephen Fingletons Tierdoku zur Spezies Mensch ist ein faszinierendes Kammerspiel in und um eine Kammer herum, inmitten der Unberührtheit des Waldes, in den sich der titelgebende SURVIVALIST (Martin McCann) zurückgezogen hat. Die Weltbevölkerung ist in diesem Szenario analog zur Ölproduktion erst rapide gewachsen und dann sturzhaft geschrumpft, wie eine Grafik gleich zu Filmbeginn verrät. Da es ohne Öl, wie jeder weiß, weder Essen noch gesellschaftliche Ordnung geben kann, hacken sich die Übriggebliebenen gegenseitig zu Tode, anstatt gemeinsam am Erhalt der Zivilisation zu arbeiten.

Nordirland ist übrigens der Schauplatz, die Akteure dieser Wesensstudie entsprechend unbekannt, doch umso überzeugender. Olwen Fouere als altes Weibchen Kathryn kommt vom Theater, Mia Goth als junges Weibchen Milja hatte wohl mal eine Marginalrolle in Nymphomaniac Teil 2 und sonst keine Langspielerfahrung. Martin McCann hingegen hat zwar Erfahrung, aber ist eben Nordire. Die frischen Gesichter und ihr bemerkenswertes Schauspieltalent beleben den Film, dessen Dramaturgie ganz auf der Machtdynamik zwischen seinen Figuren ruht, und machen ihn erst funktional.

Im Ergebnis ist diese filmische Reduktion des Homo Sapiens Sapiens auf den Homo (no homo) spannend wie die besten Tierfilme und ein starkes Debut des Regisseurs, der sich für sein Nachfolgewerk bereits an Hollywood verhurt hat und dann einen richtig echten Sci-Fi Film drehen will, was THE SURVIVALIST jenseits seines narrativen Anstoßpunkts in keinster Weise ist.

BATTLES live: Warhammer

 

Schweiß, überall Schweiß. Dunkel färbt sich Johns Hemd. Der Schlagzeuger ackert am meisten diesen Abend. In der Wärme der Scheinwerferstrahlen bilden sich Bäche der Transpiration; Wasserfälle, als John aufsteht. Entspannt klöppelt er auf dem hoch hängenden Becken, welches sonst gewaltsame Schläge von unten gewohnt ist. Die Härte steckt im Namen. Stanier, so der Nachname des Johns, bedient die Kriegstrommel, die das Fußvolk vorantreibt; es handelt sich um Tanzfüße. Im Gegensatz zum Bühnengeschehen wippt man auf dem Floor völlig unkoordiniert umeinander.

Die immerschräge Melodiebegleitung kommt von Jan, oder "Ian", wie der Engländer sagt. Ian William, fürderhin kurz Willy genannt, ist ein Exzentriker, der sich beidseitig mit schräg gestellten Keyboards umgibt, denn alles andere wäre laaangweilig und einfach kein Anblick. Dazu trägt er eine Gitarre. Sie hängt knapp unter der Brust, um nicht ständig an die Keyboard anzudotzen, die Willys Bewegungsfreiheit eingrenzen. An der Bewegung umso ungehinderter ist der knülle Pöbel, der sich weder von der Schräge der Keyboards, noch von der Schräge der darauf erzeugten Klänge irritieren läßt. Manche können einfach zu allem tanzen.

Alldieweil verbringt Dave Konopka beträchtliche Zeit am Boden. Nicht der Boden-Boden freilich, sondern der Bühnenboden, wo er dreinschaut, als sei er im Permasoundcheck. Es wird an allerlei Reglern gedreht und auf unidentifizierbaren Gerätschaften gearbeitet. In Wahrheit ist der Tüftler Taktgeber. Statt des Tickens im Ohr gibt es Loops live aufgezeichnet. Das mathematische an diesem Rock ist es, nicht nur präzise zu sein, sondern den Shit am Dampfen zu halten. BATTLES setzen im Laufe des Konzerts nur dreimal zum Kaltstart an, ansonsten läuft die Mucke durch. Die Pausen für den überarbeiteten Drummer sind rar. Damit alle sehen können, was er leistet, sitzt er vorne mittig und nicht irgendwo hinten rechts verstaut, wie bei anderen Truppen üblich. Die erste Reihe labt sich reichlich an seinen Flüssigprojektilen.

Gesungen wird nicht. Dafür wäre erstens keine Zeit, schließlich wird hier gearbeitet, zweitens kein Personal. Sänger sind bei BATTLES Gäste. Es gibt Videowände, auf denen die Hackfressen der Stimmgeber liebevoll projiziert werden, während ihre Stimme vom virtuellen Band laufen - auf anderen Konzerten, auf größeren Bühnen. Nicht jedoch heute im kleinen Columbiatheater. Macht nichts, trotzdem geil.

Das neue Album beinhaltet angeblich lauter alte Stücke, alt geschrieben. "Hits" gibt es bei dieser Musik aber ohnehin eher weniger, und ein neues Album klingt da entsprechend auch dann nach einer Fortsetzung des etablierten Gesamtwerks, wenn es sich eigentlich um ein Prequel handelt. Und in der Art, wie BATTLES live ihr Oeuvre zur fortlaufenden Komposition verzwirbeln, verliert das Einzelstück ohnehin ganz an Bedeutung. Dazu paßt dann auch, daß als Opener erst einmal ein paar DJs an den Start gehen. Was aufgebauscht wird, ist ein Rausch. Auf der Bühne schwebt Rauch oder auch Nebel. Nebelgeschwader schwadronieren in der Schwärze der Nacht. Fischers Fritze frischt frische Frische.