Ferner liefen 2015

 

Eines ist klar geworden im Jahr der Ziege: Hier auf dem Block ist man so gnadenlos verhipstert, daß Mad Max, James Bond und in der Tat auch Star Wars nur naserümpfend als kunstloser Dreck abgetan werden können. Von wegen popkulturell! Die Macht erschlafft in solch abschätzigem Ambiente.

Trotzdem gab es auch schöne Dinge, des Lobes würdig, aber nicht exklusiv genug für einen ganz eigenen Eintrag im Blocklog. Denn merke: Was man nicht als erster gesehen hat, kann man genausogut gar nicht gesehen haben. Wer nicht bei der Landespremiere im Festivalkino sitzt und dem Regisseur dumme Fragen stellen kann (es aber aus Gleichgültigkeit nicht tut), der ist ein Niemand, ein unbedeutender Hanswurst. Kultur der Aggression oder kulturelle Aggressivität? Keiner weiß, jeder scheißt. Drauf.

BIRDMAN
Nach der ersten Reihe kritischer Purzelbäume (man überschlägt sich des Lobes) setzt die Erkenntnis ein, daß substantiell nicht viel übriggeblieben ist von Alejandro González Iñárritus Gimmick des schnittlosen Vollzeitfilms. So ist das, wenn Idee und Besetzung so Meta sind. Immerhin hat Iñárritu nicht schon wieder drei Geschichten an einem Ereignis verknüpft, sondern seinen besten Film seit Amores Perros gemacht. Das ist viel wert, vor allem sehens-.

A GIRL WALKS HOME ALONE AT NIGHT
Die besten Schwarzweißbilder des Jahres und damit entschuldbar, daß der "erste iranische Vampirwestern" sich in Stil und Thema an Freunde des Genre- und Arthousefilms gleichermaßen anzubiedern sucht. Außerdem ist der Soundtrack toll, und es ist ein hervorragendes Musikvideo für White Lies - Death dabei herumgekommen. Zweifellos der fünftbeste Film 2015.

STILL THE WATER
In Cannes nominiert und damit automatisch bedeutungslos für den Mainstream. Unverwunderlich ist auch, daß die minderjährige Muschi im Kern des Filmes wie üblich von einer längst Erwachsenen (Jun Yoshinaga) dargestellt wird. Es geht mal wieder ums Aufwachsen, die erste Liebe, Familie und den Tod - nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Dazu eine Insel mit braunen Japanern, also doppelt exotisch. Das ganze ist natürlich ebenso naturalistisch wie rührselig gespielt, schön fotografiert etc usw. Alle rechten Knöpfe des herkömmlichen Besserguckers sind somit gedrückt, alle Häkchen gesetzt: Einer der einfühlsamsten Film des letzten Jahres (2014), im deutschen Kino kurz mal zu sehen gewesen im Sommer dieses (2015).

SICARIO
Das beste am Drogendriller von Denis Villeneuve, allein dank Enemy einer der wichtigsten Regisseure überhaupt, ist dessen Idee vom Set Piece. Eine Kolonnenfahrt war noch nie so ergreifend, ein Shootout nie so einseitig und immersiv zugleich. Und Emily Blunt, an sich ja eine gute Actrice, spielt endlich mal in etwas Interessantem mit. Danke dafür.

STAR WARS: THE FORCE AWAKENS
Ansprechende neue Charaktere in einer lausigen, überhasteten Geschichte, die vergangene Motive so genau nachstellt, daß nichts mehr Sinn ergibt im Universum. Konkret: Die Zerschlagung des bösen Imperiums hat offenbar nichts bewirkt, wir fangen nochmal von vorn an. Egal, weil Daisy Ridley = Burner. Gute Trailer ohne Giant Space Laser™, obgleich ein solcher im Film zu sehen ist - Überleitung zu Momenten der Tragik, die allesamt voll auf die Fresse fallen. Dafür überraschend die meisten Lacher des Jahres. Gesamturteil: ambivalent.

TAG: Vom Winde zerweht

 

Splatter und Pantyshots. TAG, nur einer von fünf Filmen, die Shion Sono dieses Jahr auf die Leinwand erbrochen hat, ist die Art unverblümtes, unbeschwertes Genremachwerk, das zum Fundament eines Fantasy Filmfest gehört. Als solches ragt seine Mission kaum über den reinen Unterhaltungswert hinaus - glücklicherweise, denn das offensichtliche Low Budget Projekt strotzt nicht unbedingt vor originellen Ideen.

Mitsuko (Reina Triendl) duckt sich im richtigen Moment nach einem Stift und hat Glück: Ein besonders schneidender Windhauch zerteilt den Schulbus sowie dessen gesamte Besatzung sauber in der Mitte, so daß schon nach wenigen Minuten das Blut lustig überzogen aus den offenen Unterleibern spritzt. Kurz darauf war alles nur ein böser Traum - oder auch nicht? Mitsuko kommt sich fremd in der eigenen Mädchenschule vor. Zum Glück kann sie sich auf die beste Freundin Aki (Yuki Sakurai) verlassen, die ihr gerne ihr Leben erklärt, so oft es sein muß. Denn natürlich bleibt es nicht bei der einen Blutorgie.

Normalerweise ist nach dieser Inhaltsangabe die Arbeit des Rezensenten getan, denn wen interessiert bei einer solchen Prämisse noch eine ernsthafte Kritik? Nun, wer nicht regelmäßig in den Genuß ausgelassener Männerabende kommt und seine Filme mit Bedacht wählen muß, mag mit TAG nicht unbedingt das Optimum herausholen. Nicht, weil es allzu einfach ist, den Film und seinen Macher im misogynen Lichte zu sehen - immerhin werden zuhauf knapp bekleidete Mädchen geschnetzelt. Nein, dafür sind Prämisse und Darbietung zu albern, zu frei von Bodenhaftung. Das Problem ist eher, daß Sono diesen Blankoscheck zu moderat ausfüllt. TAG ist, im Gegensatz zu den vormals gerne episch angelegten Werken des Regisseurs, eine eher knappe Angelegenheit, die im Tempo dennoch stellenweise träge daherkommt und zu oft vor der Glorie eines atemlosen Metzgersfestes zurückschreckt, um sich in dümmlichen Plattitüden zu verplappern. TL;DR: zuviel Gelaber, zuwenig Action.

Shion Sono, dessen filmischer Output sich in den letzten Jahren immer weiter beschleunigt hat, beweist nun also, daß er ebenfalls des belanglosen Mittelmaßes fähig ist und schließt damit endgültig zum großen Genreübervater Takashi Miike auf, der ja auch viel Schrott produziert. Das ist natürlich mehr ein Seitenhieb auf Miike als eine Kritik an Sono, der sein Oeuvre ja bereits mit einigen wirklich sehenswerten Perlen angereichert hat. Nur TAG gehört eben nicht dazu. Aber bei einer derartigen Filmschwemme aus der Hand desselben Regisseurs in solch kurzer Zeit mußte das ja passieren. Fazit: Wenn die Rente wackelt, hat der Künstler verkackelt.

ÉVOLUTION: Noppenfetisch

 

Lucile Hadžihalilovic? Nie gehört. Das ist einerseits seltsam, weil ihr jüngstes Werk ÉVOLUTION ein Zeugnis meisterhaften Filmhandwerks ist. Es ist andererseits verständlich, weil sich die Regisseurin seit ihrem weitestgehend unbekannten Erstling Innocence elf Jahre Zeit gelassen hat - ein Umstand, der seinerseits wiederum nicht nur unverständlich, sondern unentschuldbar ist, denn jemand mit einem solchen Gespür für mise-en-scène sollte dringend mehr Filme erzeugen.

Ebenfalls rar gemacht hat sich Hauptdarsteller Max Brebant als Nicolas, weil erste Rolle überhaupt. Der Knabe schlägt sich überzeugend als Insulaner, der eines Tages beim Tauchen die Leiche eines unbekannten Jungen im Korall entdeckt und fortan seine Verstörung nicht abschütteln kann. Für Zuschauende verstörender ist jedoch der Umstand, daß die Insel, auf der Nicolas lebt, sonst offenbar nur von weiteren männlichen Altergenossen und deren blassen Müttern bewohnt wird, die seltsamen Tagesabläufen inklusive Ekeldiät und Experimentalmedizin nachgehen. Dem Naseweis schwant, daß nicht alles normal ist. Verwirrung und Neugier sind die dominanten Gefühlszustände.

ÉVOLUTION ist die Sorte Film, dessen Genuß durch jedes Wort zuviel in seiner Inhaltsbeschreibung entscheidend gehemmt würde, denn ein großer Teil seiner Faszination besteht darin, die immer zunehmende Befremdlichkeit des Settings und seiner Einwohner selbst nachzuvollziehen. Hadžihalilovic läßt sich noch Zeit für Bilder und erschafft einen Mikrokosmos visueller Motive, die in meist ruhigen, streng kalkulierten Einstellungen behände zwischen bestechender Schönheit und körperlichem Ekel umhertänzeln. Ein Seestern wird zerschmettert und erwacht in der Form einer Untersuchungslampe zu neuem Leben. Kleinigkeiten, welche die sparsame Inszenierung beisammenhalten.

Die Kamera von Manuel Dacosse, der eines flüchtigen Blickes auf seine Filmographie zufolge an nichts wichtigem beteiligt war, fängt diese Bilder mit viel Bedacht und Brillianz ein - meditative Unterwasserwelten, triefend alte Wände, ohnmächtige Gesichter gleichermaßen. Dazu gesellt sich eine Stille, welche die verschwörerische Mystik des Insellebens noch zu verstärken weiß und, unterstützt von einem zuweilen bizzar nüchternen Schauspiel, dem sonnigen Schauplatz eine beachtliche Kälte verleiht.

In welcher Weise sich der Titel des Films auf seinen Inhalt bezieht, bleibt eine offene Frage - eine, für deren Beantwortung Hadžihalilovic klare Angriffspunkte bereitstellt, aber keine Endgültigkeit erlaubt. ÉVOLUTION ist zugleich klinischer Body-Horror, potentieller Science Fiction und vor allem aber nachtmahrische Introspektion über die Bedeutung des eigenen Körpers, die Liebe und das Leben sowohl des Individuums als auch an sich. Die üblichen Themen also, verpackt auf eine ganz und gar originelle, abstoßende und zugleich höchst ansehnliche Weise.

THEEB: Dem Nomad ist nichts zu fad

 

In Wahrheit Wahrheit liefen beim diesjährigen 14 Films Around the World ja nicht nur 16, sondern 22 Streifen, weil man sich großzügig willkürlich aus den Haaren gesogene Sonderkategorien gönnt, um das ganze Konzept der 14 bis zur Bedeutungslosigkeit aufzublähen. Und das, wo doch ohnehin schon zuwenig Zeit ist. Zeit, sich faul zurückzulehnen und andere die "Kritik" "schreiben" zu "lassen". Eine Gaudi, wie sie der Block noch nicht erlebt hat!

Theeb (Jacir Eid Al-Hwietat) ist der Sohn eines Scheichs. Wer sich jetzt einen goldbehangenen Turbanträger vorstellt, dessen Harem ihn vergnügt mit Weintrauben füttert, erliegt einem Trugschluß. Oder vielleicht einer Fata Morgana. Denn THEEB, der Film, spielt in der Wüste, der Junge Theeb gehört einem Nomadenstamm an und spielt im Sand, fern ab von Reichtümern und Palästen. Der Film wurde zusammen mit Mitgliedern eines der letzten jordanischen Beduinenstämme erdacht und gedreht und zeigt eine Lebensweise, die dem Vormarsch der industriellen Zivilisation nicht standhalten kann.

Heute gibt es in Jordanien keine nomadischen Beduinen mehr. Die Handlung spielt während der Zeit des ersten Weltkriegs, dem blutigen Urknall der modernen Weltordnung. Daß die Handlung letztendlich vom Konflikt des osmanischen Reichs mit europäischen Großmächten angetrieben wird, ist aber eher nebensächlich. Wie schnell man die Zeitperiode erahnt, ohne vorher eine Filmbeschreibung gelesen zu haben, hängt vom individuellen historischen Bildungspegel ab. Die Handlung ist überschaubar und lebt vom Zusammenspiel nur einer Handvoll von Figuren.

Theeb (der Junge) lebt also ein einfaches Leben zwischen Zelten und Kamelen. Er wird von seinem erwachsenen Bruder Hussein (Hussein Salameh Al-Sweilhiyeen) erzogen, der normalerweise Pilger begleitet und sie durch die Wüste und zu den dort verstreuten Wasserlöchern führt. Diesmal allerdings soll er einen Briten (Jack Fox) auf einer nicht näher erläuterten Mission begleiten. Als die beiden mitsamt einem weiteren Führer und Dolmetscher aufbrechen, folgt Theeb seinem Bruder. Dieser weigert sich, das Balg alleine zurückzuschicken, und so wird es im Kindersitz auf dem Kamelrumpf platziert und begleitet die Gruppe fortan.

Der arabische Film spielt im westlichen Mainstream noch keine Rolle. THEEB könnte dabei eine ideale Einstiegsdroge darstellen. Zwar ist die beduinische Lebensweise eines der Herzstücke der Geschichte, die Handlung an sich aber ist eher eine virtuose Hommage an bestehende Genres. Besonders fühlt man sich an den Western erinnert, speziell an die Klassiker Sergio Leones. Die Modernisierung eines von uralten Traditionen geprägten Landes, angeführt von der Eisenbahn als universelles Symbol des unaufhaltsamen Fortschritts. Einsame Reiter in einer Wüste, geführt von einem Ureinwohner, mit Revolvern und Flinten bewaffnet, um sich gegen Banditen zu schützen. Wenn die Schußwaffen dann unweigerlich zum Einsatz kommen, zeigt Neu-Regisseur Naji Abu Nowar Hollywood mal eben den Vogel, indem er mit gekonnten Schnitten und Einstellungen eine klaustrophobe und angsterfüllte Szene schafft, die spannender ist als so ziemlich jedes CGI-Feuerwerk mit einem größeren Budget als Nowars gesamter Film.

Daß es generell nicht viel auszusetzen gibt an Theeb ist ein großes Lob an den jungen Regisseur. Kinder als Protagonisten scheinen außerhalb Hollywoods in der Regel besser zu funktionieren. Vielleicht weil die Schauspieler, um mal ganz frei und arrogant zu verallgemeinern, selber mehr mit Elend und Unsicherheit vertraut sind, als der durchschnittliche minderjährige Hollywood-Star? Mit Al-Hwietats Theeb fühlt man jedenfalls zu jeder Zeit mit, ob im kindlichen Überschwang, als stummer Begleiter der eigentlichen Akteure, oder dann, wenn er gezwungen ist, seine eigenen Entscheidungen zu treffen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Theeb ist ein empfehlenswerter Film. Weil er aus Jordanien kommt. Weil er spannend ist. Weil er ein unfamiliäres Setting mit gekonntem Filmhandwerk kombiniert. Und vielleicht, nur vielleicht, weil Nowar das Zeug zu einem großen Regisseur hat und man jetzt die Gelegenheit hat, dabeigewesen zu sein, bevor er cool ist.

MOUNTAINS MAY DEPART: Wo Down Under noch Westen ist

 

Around the World in 14 Films heißt eines der zahlreichen Berliner Filmfestivals, was schon sehr eigenartig ist. Denn warum 14? Wer entscheidet, welche 14 Filme jedes Jahr repräsentativ für die Welt sind? Wie paßt die Welt in 14 Filme? Warum 14, wo es doch in Wahrheit 16 sind, weil einer der Filme als dreiteiliges Epos daherkommt.

Fragen über Fragen, für die Zhangke Jia nichts kann. Sein dreiteiliges Epos MOUNTAINS MAY DEPART paßt, wie es sich gehört, mit 131 Minuten in die Laufzeit einer einzigen Vorstellung.

1999 - Pet Shop Boys sind ganz groß im Tanzverein. Man darf vermuten, daß Jinsheng (Yi Zhang) und Liangzi (Jing Dong Liang) nur dort sind, weil sie beide um die immerlächelnde Tao (Tao Zhao) buhlen. Sie trägt am liebsten einen bunt gestreiften Pullover und eine knallrote Jacke.

Liangzi ist Kohlekumpel, Jinsheng Minenregent. Man ist irgendwie befreundet, aber die Dreiecksbeziehung wackelt. Die Herren drängen Tao nach einer Entscheidung. Das Bildformat ist 1,37:1, nur wenig mehr als die halbe Leinwand. Der Regisseur und Autor wählt seine Bildausschnitte mit Bedacht. Es bleibt viel Zeit, Gesichter zu lesen. Zeit, die sich lohnt, denn den Charakteren und deren Darstellung wohnt ein bezaubernder Realismus inne.

2014 - Tao und Jinsheng sind geschieden, der gemeinsame Sohn in der Sorge des Vaters, weit weg von Tao, die jetzt gedeckte Farben trägt. Allein die Beerdigung ihres Vaters gibt ihr eine seltene Gelegenheit, den Sohn zu sehen. Für einige Tage ist man zusammen, lernt einander kennen. Das Bildformat ist 1,85:1, der Ton emotionsgeladen.

2025 - Australien hat den Waffenbesitz wieder legalisiert, China immer noch nicht den Fleischwolf erfunden. Tablets sind jetzt transparent. Quasi-Protagonistin Tao ist aus der Geschichte verschwunden. Zhangke Jia beantwortet stattdessen die drängende Frage, was denn aus dem kleinen Dollar (Name des Sohnes) geworden ist. Der ist jung erwachsen, aufmüpfig und spricht derart wenig Chinesisch, daß er sich mit dem Vater nur per Google Übersetzung verständigt. Man lebt zwar schon länger in Australien, glaubwürdig ist das aber nicht und wird von Zijian Dong als Dollar auch nicht so vorgetragen. Das Bildformat ist 2,35:1, der Ausschnitt entsprechend gewöhnlich.

Michael Klier sagt ja, MOUNTAINS MAY DEPART sei Jias persönlichster Film. Ob's stimmt? Jia ist einer vieler Regisseure, dessen Werk eigentlich nur von Festivals lebt; der Heimatfilme macht, die man nur im Ausland kennt. In seinem neuesten geht es um die Trennung von der Heimat, den Bruch einer Familie und die Frage, was hätte sein können. Im Hintergrund steht sanfte Kapitalismuskritik; schließlich sind es die Ambitionen eines rastlosen, gierigen Vaters, welche die Familie spalten.

Es gibt also wieder einmal viel zu lernen von Herrn Jia, über sich und Land und Leute. Davon sollte auch ein etwas holpriger dritter Akt nicht zu sehr ablenken, der bestenfalls von der Schwierigkeit zeugt, Akteure in einer fremden Sprache zu dirigieren. Alles andere ist solide Filmkunst, die Interesse an der Gewöhnlichkeit von Menschen schafft. Denn eigentlich geht es nicht um viel.

Das Wechseln des Bildformats mag nicht allein dank The Grand Budapest Hotel ein ausgelutschtes Gimmick sein, ist hier aber zumindest insofern zweckdienlich, als daß die steigende Pracht der Formate mit einem Lebensstandard konnotiert ist, der sich in den Bildern auch wiederfindet. Das Glück in den Gesichtern freilich bewegt sich proportional in die entgegengesetzte Richtung, bis es vollständig verloren scheint. Ganz großes Kinoeinmaleins, wirklich.

Go West tönt es zum Schluß noch einmal aus den Lautsprechern, als Tao sich fröhlicherer Zeiten besinnt. Together ist man dabei allerdings nicht mehr.

Des Witwers Rache aus der Unterwelt

 

„Ist deins schon hart?“ Pause. „Du mußt unten rumrühren, dann kommt der ganze Krempel raus.“

Was sie in diesem Moment irritierte, war die Tatsache, daß es sich um einen Monolog handelte, der Stimme nach zu urteilen. Aber sie folgte, wie sie es immer tat. Unten im Topf verbarg sich eine wundervolle Welt: da mußte sie hin. Es war unumgänglich.

Vor den elefantshohen Bogenfenstern des Ateliers schien ein prachtvoller Tag den Schloßgarten zu erleuchten; eine merkwürdig abstoßende Schönheit mit einem dicken Weichzeichner darauf. Es war ekelhaft. Mit ihren eingegipsten Handknöcheln wischte sie sich etwas Schweiß von der Stirn. Sie hatte Lust, alles richtig einzuschmutzen, nicht nur sich selbst. Mit dem Boden hatte sie angefangen, eine Spur von Wut in hellem Grau, deren gemeines Bindeverhalten einst den Abfluß verstopfen würde. Einen kurzen Moment lang wurde sie unachtsam; das Ergebnis ein breites, ausuferndes Grinsen, das ihr das streng-attraktive Gesicht kaputtmachte.

Die Haushälterin kam herein, endlich, früher als erwartet. Sofort verfielen beide in Panik, die eine wegen des Schmutzes, die andere, weil es ihr noch nicht schmutzig genug war, und weil die Haushälterin sie glücklich gesehen hatte, obgleich das Grinsen sofort wieder verschwunden war. Es gab noch so viel zu tun! Das Badezimmmer, die Küche, die Teppiche und die samtenen Tagesbettbezüge, es war ganz egal! Sie nahm einen Klumpen vom halbfesten Gips und schmiß ihn nach der zufallenden Tür, als die Haushälterin aus dem Zimmer stürmte; sie hinterher, eine Abkürzung durch den Innengarten, in die Küche, alle Schränke aufgerissen und die Teller und Tassen am Boden zerstört. Der Auftritt taugte erst, wenn jemand in Ohnmacht fiel.

Nachdem das geschehen war, rannte sie nach draußen in den Garten. Freude und zerfetzte Rosenbüsche. Es wurde heiß, und der Blütensaft briet und stank.

Plötzlich Menstruation.

Vorbeugend gegen mögliche Kontraktionsschmerzen rollte sie sich wie ein Rollmops zusammen, nur daß der Rollmops sich nicht selber rollt, da der ja schon tot ist, und außerdem kein Mops ist, sondern ein Hering, dachte sie sich mit einem breiten Grinsen - schon wieder - als sie einen Hang hinabrollte; ein breites Grinsen für die Sonderbarkeit der Menschen, die solche Namen erfinden, besonders aber für das wohlige Gefühl herabrinnenden Blutschleimgemischs an ihren Scheideninnenwänden. Blut ist nämlich ein ganz hervorragender Schmutzmacher, schon nach kurzer Einwirkzeit nur noch schwer auswaschbar. Ihr Blut wurde jetzt aber durch die Rollbewegung total durchgeschleudert und floß gar nicht richtig aus.

Mit der Stirn knallte sie gegen den Gedenkstein ihres verstorbenen Ehemanns, und ihre kinetische Energie sackte gegen Null. Durch Zentrifugalkraft entbundener Zweiphasenblutschleim quoll nun in ihren Slip, den die ohnmächtige Haushälterin würde waschen müssen. Außerdem blutete ihr das Hirn.

Erschöpft blickte Mechthild in den strahlend blauen Himmel. Der Gips war längst hart geworden. Die Sonne quetschte ihr gesamtkörperlich den Schweißsaft aus, während die Schmerzen einsetzten. Der ganze Krempel kam jetzt raus. Für heute hatte sie genug geschafft.

MASERATI live: Die Musiker stimmen

 

Der Konzertsäsong 2015 geht zu Ende, und zum Schluß beehren uns noch MASERATI, die genau wie alle anderen Bands auch am liebsten in Berlin spielen, weil es hier das beste Publikum gibt! Sagen die zumindest alle, und dann muß es ja stimmen.

15 Euro. Was ein Preishit! Dementsprechend verpeilt ist der Auftritt im Berliner Musik & Frieden. Nach der exzellenten Vorgruppe Go March aus Belgien müssen die Amis also erst mal ihr Set aufbauen und Soundcheck machen. Der Prozeß zieht sich dann über weite Teile des eigentlichen Ständchens hin: ein Arbeitskonzert. Die vier Musiker ackern auch richtig was, die Bässe poltern schließlich nicht von alleine. Chris McNeals Kopf (Bass) nickt aggressiv zum Takt. Da schrammeln die sich einen ab auf der Bühne, nur um nach etwa 75 Minuten, Zugabe inklusive, zum Verkaufstand zu hasten und die T-Shirt-LP-Combo zum Schleuderpreis von 25 Euro zu verramschen. Das ist rund 15 Euro oder eine Eintrittskarte billiger als bei Kollegen vergleichbarer Statur. Diskont-Shirts zum Diskont-Auftritt. Paßt alles zusammen.

Auch passend ist Mike Albanese als Drummer, der bei den Maseraten vorne mittig spielt. Eine verantwortungsvolle Rolle, nachdem Jerry Fuchs, Frontmann der ersten 4,9 Alben, 2009 aus dem Aufzug gefallen war. Das ist nicht lustig (weil tot), und Kinder denket daran: Immer Ruhe bewahren. Außer ihr seid Drummer bei MASERATI und bei der Arbeit. Dann kloppt bitte in das Schlagwerk, das alles zu spät ist. Albanese macht das richtig.

Neue Tour, neues Album: Rehumanizer ist gewohnte Kost, mit dem kleinen Extra, das sich viele Instrumentalrocker auf dem fünften oder sechsten Album mal trauen: Stimme! Und zwar das gleich zweimal im vorliegenden Fall und davon auch nur einmal mit Verzerrer! Macht aber zumindest live nichts: Der Sound im Kellerclub im ersten Stock ist dumpf genug, daß man davon kein Wort verstehen muß. Insgesamt geht der Pleiten Pech und Pannen Sound aber trotzdem in Ordnung - schade nur, daß beim Megahit Inventions die Leadgitarre etwas zu leise abdümpelt.

Ansonsten haben MASERATI genug Drive, um auch bedenkenlos unter Ferrari firmieren zu können, was zugleich Kalauer und die einzig wirklich akkurate Beschreibung der Musik von Gefühlsseite ist. Da willste einsteigen und einfach losbrausen. Press the Pedal to the Metal. Step on it. Yolo.