Frankfurt a.M.

 

Frankfurt ist die bekannteste Stadt Deutschlands. Nicht in Deutschland, aber im Ausland. Frankfurter Börse, Frankfurter Flughafen, Frankfurter Allgemeine. Nur um den Zoo soll es diesmal nicht gehen.

Als Deutschlands internationale Fernverkehrsmetropole ist die Stadt, die von Eingeborenen und naseweisen Zuzüglern liebevoll »Mainhattan« gennant wird, erstaunlich klein. Im Grunde findet man in der Innenstadt auch nach Jahren alles sofort wieder, selbst wenn der einzige Besuch Jahre her ist. Außerdem sind die hohen Bürotürme prima Orientierungspunkte. Touristen sei dringend angeraten, zeitnah noch einmal hinzufahren, solange jene noch stehen.

Für die deutsche Finanzhauptstadt gehört Büroleerstand fest zum Profil. Im Bundesvergleich der Großstädte kann man sich hier seit Jahren auf den Spitzenreiterplatz mit einem Unnahbarkeit vermittelnden Vorsprung verlassen. Die Quote war im goldenen Jahr 2010 auf bis zu 20% geklettert und rangiert auch heute noch im soliden zweistelligen Bereich. Inzwischen ist es zwar etwas weniger geworden, weil endlich auch mal was abgerissen wurde, nicht weniger geworden sind aber die Büromieten; auch hier hält man die Spitzenposition im Bund. Eine Erklärung, wie das beides zusammengeht, möchten wir jedoch auslassen, denn Unkenntnis tut dem Spielspaß im Casinokapitalismus keinen Abbruch, sondern beflügelt diesen vielmehr in ungeahnt windige Höhen*. Entscheidend ist viel mehr, daß vom Willen zu mehr Türmen zwar Aufschub, aber keine Abkehr zu verzeichnen ist. Deswegen steht hier für die Einschätzung der Stadt ähnlich einem Tripel-A Fonds die Nachhaltigkeit im Vordergrund.

Frankfurt wird weiterwachsen, und zwar in die Höhe. Dabei war das ursprünglich alles mal ganz anders geplant. Als Frankfurt noch Hauptstadt werden wollte, waren Bauten, die der Höhe des Kaiserdoms zu nahe kamen, verpöhnt (dies ist in entgegengesetzter Richtung freilich auch heute so). Dann wurde aber glücklicherweise Bonn Hauptstadt und alles kam ganz anders. Die Zwillingstürme der Deutschen Bank, frei frankfurter Schnauze auch »Soll und Haben« betitelt, wurden gebaut. Davor und danach noch ein paar mehr. Gerade in der sprunghaften Neubesinnung der Stadtoberen auf Frankfurts Vergangenheit als Handelsstandort zeigt sich ulkigerweise die politische Tradition des ehemaligen Sitzes des Bundestags.

Nach diesem kurzen, rund 200jährigen Vorspann kann es also endlich losgehen. Das Spielprinzip ist trotz der ausschweifenden Story aber auffallend einfach gehalten. Gesteuert wird mit nur zwei Tasten, die für Gas und Vollgas stehen. Bevor der Spieler aber vollends in das zwar einfache, aber nicht weniger komplexe Gameplay (zu deutsch: Spielspiel. Manche Lehnworte sind berechtigt) eintauchen kann, fällt der Blick erst einmal auf die aufwändigen grafischen Spielereien mit all ihren ausgefeilten Spiegeleffekten und einer absurd hohen Zahl Polygone. Auch die massiven Explosionen, die nach zu langem Gedrückthalten der Vollgastaste schnell die gesamte Bildfläche einnehmen und auf der Lernkurve der Spielsteuerung ganz am Anfang stehen, sind optisch mehr als beeindruckend. Zu bemängeln ist allerdings die Entwicklung des Schwierigkeitsgrads von über lange Zeit sehr einfach zu plötzlich unschaffbar. Das ist frustrierend, und auch wer sich hier durchzubeißen vermag, wird letztlich von der zu kurzen Gesamtspieldauer enttäuscht sein.

Mieten oder Kaufen? Die Entscheidung ist der Kurzlebigkeit und Unausgewogenheit geschuldet und fällt diesmal eindeutig auf mieten. Noch besser ist es natürlich, wenn man Frankfurt erst einmal ganz unverbindlich bei einem Freund ausprobieren kann.

(*Dies war der offizielle Satz fürs Feuilleton, mit aufrechter Entschuldigung an den sprachstilistisch besonnenen Leser. Blüten dieser Art sind für die Verbreiterung der Leserschaft (zahlenmäßig) zwingend erforderlich; so fordert Expansionismus im journalistischen Bereich eben seinen Tribut.**) (**Normalerweise möchten wir auf Fußnoten in unseren Online-Publikationen gerne verzichten. Jedoch möchten wir auch dem zu verlockenden Vorwurf des sprachlichen Dekonstruktivismus durch überlange Klammertexte als Meta-Allegorie auf die weltwirtschaftliche Situation vorbeugend entgegenwirken. Ironischerweise wird der Haupttext aber auch durch überlange Fußoten dekonstruiert, da diese in der Regel sofort gelesen werden. Bis Sie hier durch sind, haben Sie doch längst wieder vergessen, worum es eigentlich geht.)

Dieser Artikel ist ALT. Er erschien zuletzt im nicht mehr existenten Lifestyle-Blog remede.de.

THE DEAD LANDS: Der Saft gibt die Kraft

 

Neuseeland, Anno Dazumal. Land der Vögel und Echsen. Heimische Säuger sind Fehlanzeige, es sei denn, man zählt Māori dazu - Ureinwohner. Komplett in Wildensprache gehalten, präsentiert Toa Fraser (Regie) eine Rachegeschichte, die aus bewährten Konzepten wie Ehre, Ruhm und Ahnenhuldigung schöpft. Entsprechend ist die Gewalt ebenso sinnlos wie blutig.

Der Clan des knapp 16-jährigen Hongi (James Rolleston) wird unter einem fadenscheinigen Vorwand von Wirepa (Te Kohe Tuhaka), dem blutrünstigen Thronfolger eines Rivalenstammes, niedergemetzelt. Der des Kampfes ohnmächtige Hongi entkommt dem Massaker auf unrühmliche Weise. Aus Rache und zur Ehrenrettung folgt er Wirepa und seinen Mannen auf deren mehrtägigen Heimweg, der sie durch verbotenes - verfluchtes - Land führt. Hier treibt ein fleischfressendes Monster sein Unwesen, der letzte Krieger eines verlorenen Stammes, dessen Bündnis Hongi ersucht, um gemeinsam Jagd zu machen.

THE DEAD LANDS will kein trockenes indigenes Aufklärungskino sein. Die Mission ist Vergeltung, das Mittel ist Kampfsportaction in der Choreographie der schnellen Schnitte, wenngleich hier mehr womöglich sogar mehr gewesen wäre - Action, nicht Schnitte. Während langer, besinnlicher Ruhephasen wird im gesprochenen Wort heraufbeschworen, was die Gesellschaft der rivalisierenden Māoribanden antreibt. Insbesondere das Reich der Ahnen wird in spirituellen Mystizismus getaucht. Man ißt Pilze, um in fantastisch angereicherten Bildern mit den Toten zu kommunizieren. Der Dialog wirkt - zumindest in den Untertiteln - zuweilen überraschend unzeitgemäß und schnippisch, ist in dieser Form aber auch nicht unwillkommen. Und wenn dann doch endlich wieder geprügelt und geschlachtet wird, spritzt das Blut auch befriedigend großzügig.

Seltsam ist aber, daß all jene Zeit zwischen den Paukenschlägen nicht besser genutzt wird, um die Fortentwicklung des jungen Hongi glaubhaft zu machen. Dieser beginnt als sanfter Knabe und muß sich schließlich zu Ende einen Showdown mit dem Oberbösewicht liefern - ein Übergang, der nicht viel mehr als eine knappe, wenngleich amüsante Trainingssequenz einwirft und wenig überzeugend daherkommt.

So sehr die Einfachheit der Geschichte und ihre beschränkte Ambition dem Zusammenhalt des Films zuträglich sind, so sehr ist ihre Verortung im urbewohnten Neuseeland nicht viel mehr als ein Stilmittel. THE DEAD LANDS hat unter der Fantasy und Martial Arts Fassade wenig substanzielles über sein Setting inklusive Bevölkerung zu sagen und versucht es auch nicht, weshalb hier auch kein bildlicher Beinbruch vorliegt, von der Bebilderung gebrochener Beine auf der Leinwand ganz abgesehen. Ein Gewinn für die Individualität dieser Geschichte nebst anderer, sehr ähnlicher Filmgeschichten ist immerhin die komisch aufgebauschte Mimik ihrer Darsteller, die große Mengen Zungenflattern und aufgerissener Augen enthält. Und Neuseeland, beliebter Drehort, wann immer Aufnahmen unberührter Natur gebraucht werden, hat einmal Gelegenheit, sich selbst zu spielen.

Omas Lochers Rache aus der Unterwelt

 

Ein kleine Wohnung direkt neben dem immerwährenden Wanderzirkus; ein altes, baufälliges Haus mit morschem Holzgeländer an den Treppen, wo Morde noch den Charme des mysteriös-romantischen genießen. Die Simpsons, Figuren aus der Dämmerung und ihre neuen Nachbarn von gegenüber, werfen strenge Blicke in das noch nackte Zimmer. Drinnen ist Lotta. Lotta zieht um; sich. Raus aus der Coyote Ugly Franchise aus dem Sommerschlußverkauf und rein in ihr Bühnengewand für die Zaubershow. Holzgamaschen, Netzstrümpfe, eine brillantbesetzte Maske und einen Bömmel am Arsch. Vater Simpson reibt sich unauffällig den Schritt am Türrahmen. Ashlee und Jessica albern im Garten.

Die Gitter der Fenster - alle Fenster hier haben sie - werfen ein sexy Streifenmuster auf Lottas bloßgestellten Körper. Wie im Biene Maja Comic, nur anders herum. Streifen machen schlank, das kann sie gebrauchen, findet sie. Die Haare sind zusammengesteckt, der Pürierstab steckt in der Scheide. Liebevoll nennt sie ihn auch "Zauberstab". So geht es raus auf die Bühne. Lotta schlägt das Fenster ein und hüpft aus dem dritten Stock direkt in die Manege. Von der Türlaibung her erklingt ein süffisant-sehnsüchtiger Brunftlaut des beleibten Mannes.

Drinnen im Zirkuszelt diffundiert blauer Nebel in alle Richtungen. Lotta landet zum punktgenauen Anschluß an eine Exorzistennummer, an deren Ende der Geisterjäger John Sinclair niederstreckt. Das Zelt hat sie dabei heruntergerissen. Sie erhebt sich nach dem Aufprall im Kreuzfeuer des Applauses von Band; es sind keine Zuschauer da. Das letzte Mal kamen sie '39, vor der großen Umwälzung. Jetzt lesen sie lieber lustige Taschenbücher. Darum ist diese Show ganz allein für sie. Hier findet sie ihre Absolution. Ihre Mitakteure sind ihre Schatten. Sowie er davonkriecht, gibt der Nebel sie langsam frei. Die Scheinwerfer lassen Lolita leichenblass erscheinen und erhellen den Raum nicht. Glück für sie, das weiß sie. Ihr Makeup sitzt nicht. Ein Luftstoß kühlt ihren Schweiß. Strengt ihr schwerer Atem nach dem Sprung sie an, oder ist es das ordinäre Lampenfieber? Es ist ihr größter Auftritt.

Sie atmet noch einmal den blauen Nebel ein, erhebt ihren Blick zu den Scheinwerfern wie zu funkelnden Sternen, schafft Erleichterung in ihr Gesicht und ruft:

"Liste deutscher U-Boote! Neunzehn-Fünfunddreißig bis Neunzehn-Fünfundvierzig! U Fünfhunderteins bis U Siebenhundertfünfzig!" Kurze Pause. Sie steht stramm, die Hände zu Fäusten gegen den Erdboden gerichtet. "Eins: USS Greeneville! SSN Sieben Sieben Zwei!"

"Falsch!" tönt es durch die Reihen. Der Geisterjäger tritt ans Licht. "Nicht deutsch, nicht U-Boot, nicht Fleisch, nicht Fisch. Ignorantes Mädchen, fort mit dir, zurück nach Asien, Dubai oder meinetwegen Steinach. Thüringen ist auch schön, wenngleich das System dich anders glauben lassen mag, und dir als Bühne sehr viel wirtlicher, um deine Spruancen abzuhalten!"

Das war ein Wort zuviel aus dem lästernden Maule des Geisterjägers. Lotta findet Spruance klasse. Unter der harten Schale, in die sie sich geworfen hat, bricht ein weicher Kern. Ein immergrüner Schutzmann, scheinbar hier vom Anbeginn der Zeit, weiß immer, was zu tun ist. Er spielt das Band ab. Lottas Lippen bewegen sich zum Text.

"Whoever said progress was a slow process wasn't talking 'bout me. I'm a P.I.M.P. Plus, I got the magic stick." Lotta stürzt mit leuchtendem Zauberstab voran auf den Geisterjäger zu und schlägt ihn damit innerhalb eines Augenaufschlags so steif, daß man Poolbillard mit seinem Queue spielen könnte.

Als sie zur Besinnung kommt, lacht sie die mit Südseeimpressionen bemalten Wände der Häuserschlucht an, und es schallt lachend zurück - zunächst nur ein Hall, doch schon bald mischen sich fremde Stimmen aus den Häusern darunter. Als deren Bewohner von Entenhausen genug hatten, waren sie an die Fenster gekommen, um dem Schauspiel zu folgen. Lotta hat ein echtes Publikum bekommen und ihren Mord mit mysteriös-romantischem Charme zur Kunstdarbietung erhoben. Im Scheinwerferlicht steht, ihr gegenüber, ihr Nachbar und grunzt lüstern. Es stört sie nicht, wie jener mit seinen vulgären Gebärden in ihre zarte Sphäre einbricht, denn sie hat ihn stets als abstraktes Monument gesehen.

"Ich bin jetzt bereit zur Intersexualität! Komm nur, nimm mich hin!" ruft sie ihm zu.

Und als sie ihren anmutigen, lüsternen Körper unter der Ekstase des Fünfbeiners begräbt, lassen die Bewohner ihre Vorhänge über den Liebenden fallen.

BABYMETAL live: Moametal, Fußballgott

 

Zunächst eine Entschuldigung für die immer wiederkehrenden Nonsens-Subtitel, deren Sinn sich nur einem sehr engen Personenkreis um deren Autor, des ominösen »Ich«, um dessen Erwähnung sich die Textkapaden des BLOCKs in einem fehlgeleiteten, verschachtelten Vorstoß nach Scheinobjektivität schlangenhaft herumaalen, erschließt. Es war das Jahr 2001, auf einem Konzert von Nick Cave & The Bad Seeds in München, als scheinbar vollkommen zusammenhangslos, aber dafür umso belustigender, ein einsamer Schrei aus dem Publikum ertönte: "Blixa Bargeld, Fußballgott". Das Konzert war etwas zu laut, die Abmischung dementsprechend verwaschen. Die einzige Gemeinsamkeit mit BABYMETAL 2015 in Berlin.

Das Wort »ohrenbetäubend« möchte gerne ernst genommen werden, nicht als figurativer Begriff, sondern als physische Realität. Es dauert eine gute Stunde, eher zwei oder sogar drei, bis das Hörvermögen wieder auf Normalniveau zurückgeklettert ist. Und je höher die gewünschte Frequenz, umso länger muß auch zurückgeklettert werden. Dem Mosher, oder - im Falle von BABYMETAL - dem Mosh'sher, ist das egal. Er braucht Lautstärke, um sich zu entfalten. Die übrigen Besucher tragen die Musik im Herzen. Das Hirn ruft die emotionale Erinnerung ab und hilft bei der Ausdifferenzierung dessen, was im unterbesetzten Haus zu auditivem Brei verkommt. Nicht der Besetzung wegen, sondern des Herrn am Mischpult, der zwar auch nur Lakai sein mag, zweifelsohne aber die finale Instanz ist, welche Su-Metals Stimme immer mal wieder in den berstenden Bereich pushen muß.

Sound also nicht so toll. Zweifellos nicht unbedeutend, aber möglicherweise kann das Konzert ja in den Rubriken Grafik und Spielspaß Prozentpunkte gutmachen. Protip für aspirierende Schreiberlinge: Die kommentarlose Anwendung genrefremder Maßstäbe ist guter Humor und bezieht den belesenen Leser ein, ohne den außenstehenden Außenseiter auszuschließen. Offensichtlich selbstaffirmative Pleonasmen hingegen sind zu vermeiden.

Zur Geschichte: Der Fuchsgott hat die Darstellerinnen Suzuka Nakamoto, Yui Mizuno und Moa Kikuchi in Su-Metal, Yui-Metal und Moa-Metal umbenannt und sie dazu eingewiesen, irgendeine Résistance gegen irgendwas zu bilden, keine Ahnung, ist ja auch egal, der Quark interessiert original niemanden - aber er existiert und eröffnet jedes Konzert in Form einer Erzählstimme aus dem Off. Passend dazu bleibt die Identität des Fuchsgottes im wahren Leben - die Rede ist von BABYMETALs Produzenten - geheim. Eine elaborierte, fabrizierte Legende, ausgesponnen bis in Details wie die Gestik der Mädchen, die, so sagt die Legende, das Mano cornuta einst mißverstanden und hernach als schattenspielerisches Fuchsbildnis wiedergaben - die Hörner zu Ohren verfremdet. Produktionsaufwand, der am gemeinen Mosher verlorengeht.

Mosh'sher und Fans hingegen wissen Bescheid. Außerhalb der Pit wird zumeist korrekt gestikuliert. Einsätze stimmen. Das Bewegungsmodell im Publikum und in der Pit ist wissenschaftlich etabliert, das auf der Bühne erprobt und durchchoreographiert, ebenso wie jede Interaktion der Obrigen mit den Untrigen. Es wird ein Programm abgeliefert, das identisch ist mit allen anderen Auftritten. Es ist Theater. Wer das Stück schon einmal woanders oder durch einen audiovisuellen Datenträger gesehen hat, darf keine Überraschungen, keine Varianz erwarten. Erwartungen, die Mosher von vornherein zuhause lassen.

Nicht nur die Mädchen in ihren Kawaii-Goth-Kostümen, sondern auch die bleichgeschminkte Liveband ist Teil der Choreo, auch ihre Körpersprache und Mimik einstudiert. »Live« verdient Erwähnung, denn in der Fusion mit hoch artifiziellem J-Idol-Pop nicht selbstverständlich und auch nicht immer so gewesen, siehe Prä-2013. Doch Metaller haben international hohen Anspruch an die Virtuosität ihrer Performer, und so erscheint es nur logisch, daß der Wechsel von der offensichtlichen Playback-Band im blickverhindernden Gesicht-inklusiv-Skelettoverall zur live spielenden Band aus Profimusikern im Engagement ungefähr gleichzeitig mit dem plötzlichen Popularitätsaufschwung der Gruppe einherging.

Insgesamt ist der Anblick gut, wenngleich er ein wenig von der Opulenz des heimischen Konterparts eines BABYMETAL Gigs vermissen läßt. Bühnenaufbau und technische Fisimatenten sind vor einem bis zu 20.000-köpfigen japanischen Publikum ein paar Nummern größer angelegt. Huxleys Neue Welt in Berlin mit seinem 1.600er Fassungsvermögen ist hingegen nicht gefüllt. Die Tribüne mit ihrem Anteil von 300 Plätzen bleibt von vornherein geschlossen, und das Parkett bietet noch erstaunlich gute Bewegungsfreiheit in den Peripherien. Das Konzert in Berlin war eine von zwei zu Ende Mai angekündigten Zugaben, welche die Zahl der Deutschlandauftritte in diesem Jahr verdoppelten. Die Hingabe von Seiten des Managements ist natürlich willkommen. Man kann sich glücklich schätzen, wenn japanische Acts überhaupt auf Welttournee gehen - der im internationalen Vergleich starke heimische Musikmarkt und eine lebhafte Konzertkultur bedingen dies nicht, sofern kommerzieller Erfolg gefragt ist.

Grafik also zufriedenstellend. Wie sieht es mit dem Spielspaß aus? Haben BABYMETAL Spaß am Spiel?

Ein frustrierender Aspekt der intellektuellen Auseinandersetzung mit der Idol-Szene ist die Unmöglichkeit, ihren Protagonistinnen authentische Stellungnahmen zu entlocken. Bei der Lektüre eines beliebigen Interviews stößt man immer wieder auf dieselben, vom Management autorisierten und dementsprechend unverfänglichen Fragen sowie auf deren sorgfältig vorgefertigte Antworten. Das fällt üblicherweise nicht weiter auf, sofern nicht plötzlich die Allerweltspresse anfängt, sich zu interessieren - und für BABYMETAL interessiert sich alle Welt. Der Erfolg der Gruppe, einhergehend mit einer Erweiterung des Idol-Publikums um Metalheads und Liebhaber des Gimmicks, welche je nach Standort unterschiedliche Gewichtung in der Crowd haben, hat außerdem den Effekt, daß Suzuka, Yui und Moa nicht mehr austauschbar sind, wie in der Idolindustrie mit ihren rotierenden Besetzungen eigentlich üblich. Es hat auch den Effekt, daß für die Aufrechterhaltung des Impulses (physikalische Metapher) zusätzliche kreative Ressourcen aufgebracht werden müssen.

BABYMETAL spielten am 27.08.2015 in Berlin zum nicht mitgezählten Male dieselbe Nummer. Wie die Befindlichkeit ist, läßt sich vom eingeübten Lächeln nicht ablesen. Es gibt keinen Moment der Pause, des ausgelassenen Umsehens, der spontanen Fraternisierung mit dem Publikum. Das Programm wird stringent abgearbeitet. So ist das eben. Hatten BABYMETAL Spaß? Na hoffentlich, dazu sind die Schulferien schließlich da. Den Mosher und in der Tat auch den Mosh'sher indes begleiten diese Fragen nicht. Er führt ein einfaches, aber friedfertiges Leben, vom Verletzungspotenzial in der Pit abgesehen. Er hat Spaß.

Lohnt sich also der Besuch? Zur Klärung des Fazits stellen wir Investition ins Verhältnis zu Gewinn. Die Investition beträgt etwa 40 Euro und einen Donnerstag Abend und spielt dank Überflußgesellschaft keine Rolle in unserer Gleichung. Demgegenüber war es wichtig, BABYMETAL noch einmal in dieser Form gesehen zu haben, die letzte Chance auf ein durchgängig minderjähriges Front-Lineup. Sie werden immer größer, jeden Tag ein Stück. Sängerin Suzuka wird im Dezember Achtzehn an der Jahreszahl. Die beiden »Screamer« Yui und Moa haben noch bis Mitte 2017. Die Gegenüberstellung aus maskulin vollreifem Powermetal und kindlichem Idolpop ist der wichtigste Anziehungspunkt der Formation, der What-The-Faktor, der BABYMETAL viral gemacht hat. Doch als nächstes muß eine Renovierung des Konzepts stattfinden, wenn es künstlerisch überzeugend weitergehen soll.

Sofern im Geheimlabor des im Mysterium verhüllten Strippenziehers nicht bereits ein grandioses, vollwertiges und vor allem albumfüllendes Zukunftskonzept brodelt, zeichnet sich jene Zukunft in trist repetitiver Kurzlebigkeit. BABYMETAL gibt es seit 2010, das letztjährige Album war im Wesentlichen eine Kompilation aus 4 Jahren Singlematerial. Seither ist die überwältigende Flut von einem Stück als Neumaterial hinzugekommen. Es ist auf der diesjährigen, außerjapanischen Veröffentlichung des Albums enthalten und gehört in seiner Mischung aus Wiederkäutem und käsiger Stadionhymne zu den schwächeren Beiträgen. »Road of Resistance« lautet sein in der Kontextualisierung mit der Erfolgsgeschichte der Band ironischer Titel.

Die Zeit des Hypes. Es war ein schöne Zeit. BABYMETAL hatten Spaß, wir hatten Spaß, unser beneidenswerter Freund, der Mosher, hatte sowieso Spaß. So war es, so soll es immer sein. Wir wollen Spaß. Immer mehr Spaß. Haben wir noch Spaß? Spaß Spaß Spaß.

UN ILLUSTRE INCONNU: Und wenn ja, wieviele?

 

Wer ist Sébastien? Zum einen Immobilienmakler. Zum anderen erfahren wir nicht viel über den illustren Herrn. Er ist quasi unbekannt. UN ILLUSTRE INCONNU (Nobody from nowhere).

Sébastien Nicolas (Mathieu Kassovitz) hat das exzentrischste Hobby. Wenn er eine Wohnung vermittelt, mustern seine Augen den Kunden mit maskenbildnerischer Präzision, auf daß er sich im Anschluß Masken von ihnen bilden kann. Er hat außerdem immer einen Zweitschlüssel zur Wohnung, um die Persönlichkeit des Kunden studieren zu können. Ist dies geschehen und die Maske übergestreift, schickt Sébastien sich an, dessen Leben nachzuspielen - z.B. beim Treffen anonymer Alkoholiker.

Matthieu Delaporte (Regie) treibt seine Narrative durch Beobachtung voran. Es beginnt nahezu dokumentarisch, mit einem interessanten Fokus auf dem technischen Aspekt der Verwandlung, der Maske, ergänzt von Kostüm und Stimme. So wie Sébastien die Menschen studiert, die er darzustellen gedenkt, so werden deren Leben zur momentanen Geschichte des Films. Was es über Sébastien zu lernen gibt, ist ebenfalls reine Beobachtung, denn der Gute erklärt sich nie - bis er in einer seiner Rollen nach sich selbst gefragt wird, der er gerade nicht ist. Er beschreibt sich als langweilig.

Die Rolle ist die des Henri de Montalte, eines ehemaligen Starviolinisten. Er ist die eigentlich illustre Person und die, welche Sébastiens Lebensart dereinst über den Haufen wirft. Denn als Henri gesellt sich eine neue, unvorgesehene Komponente in das Rollenspiel: Ein alternatives Leben als Familienvater, von dem sich H. vor Jahren reuelos abgewandt hat.

UN ILLUSTRE INCONNU verschleiert lange, was Thema, Sinn und Zweck des Ganzen ist. Worauf die Geschichte hinausläuft, bleibt bis zuletzt unabsehbar, und das ist gut so. Tatsächlich eröffnen sich im letzten Drittel des Films gleich mehrere Möglichkeiten, die Chose zu einem stimmigen Abschluß zu bringen. Daß diese trotz fortschreitender Laufzeit nach 118 Minuten weder intellektuelle noch emotionale Einbußen macht, liegt an der Stärke der Ideen und der Charaktere, die in diesem Drehbuch meisterlich verquirlt werden.

Denn anstatt einem klassischen Spannungsbogen zu folgen, ist Interpretation und zuweilen Selbstreflexion gefragt, ohne daß die Moralkeule geschwungen wird. Von einem Off-Kommentar zuviel einmal abgesehen, ist der Ton erfrischend subtil. Klar: Sébastien entdeckt eine ungekannte Wertschätzung für das familiäre Miteinander, und wer nicht innerlich voll verkalkt ist, kann das durch ihn ebenfalls tun. Aber es ist eben nicht dringende Agenda, sondern ein ebenso überraschendes wie willkommenes Nebenprodukt einer skurrilen, fantastischen Geschichte.

HYENA: Das Das

 

Soundtracks machen Filme. Ob bewußt oder unbewußt, The The's musikalische Dreingabe zum Film von Gerard Johnson gibt die Stimmung vor und ist eine tolle Gelegenheit, endlich mal das Wort »kongenial« in eine Filmkritik zu bugsieren. Er beginnt mit The invisible city - die Stadt in der Stadt, die Unterwelt Londons - einem schaurigen Hauptmotiv aus sieben Noten und viel Hall. Darin machen sich vier schwere Jungs bereit, gleich einen kleinen, in Neonlicht getauchten Club durch die Hintertür zu überfallen. In dürftiger Polizeimontur verkleidet, prügeln sie drinnen alles nieder und rauben eine stattliche Menge Koks.

Bald wird klar: Die Verbrecher sind auch in echt Polizisten und eben Verbrecher. Drogen werden für den eigenen Konsum sichergestellt und Schieber um Schutzgeld erpreßt. Michael (Peter Ferdinando) ist der Bad Lieutenant der Bande, ihr vermeintlicher Anführer, und investiert sogar eigenes Geld in den Drogenhandel.

Düster, langsam, minimalistisch und elektrisch treibt die Musik in HYENA dessen Handlung vor sich her. So verwundert es nicht, wie der Film ganz offiziell mit Nicholas Winding Refns Lob beworben wird. Wie auch beim Dänen gern zu beobachten und zu hören, haben wir es hier zuerst mit einem Stimmungsstück zu tun, später auch mit einem Unterweltdrama. Sicher, die Geschichte des moralischen Verderbs, des Versumpfens im Treibsand aus Gewalt und Gegengewalt, bietet inhaltlich nichts neues, keine überraschenden Wendungen, keine erhellende Bilanz. Es ist die technische Umsetzung, die Hyena stark macht. Die Glaubhaftigkeit der Figurenzeichnung, die Direktheit der Gewalt, das Licht und die Musik, die Präzision der westlondoner Verortung. Jede Stadt braucht ihre eigene Crime-Story, wenn sie was sein will.

Stichwort Gewalt: tolle Überleitung zu zartbesaiteten Kritikern, die das nicht sehen wollen und/oder unnötig finden. HYENA hat in seinem Heimatland bereits einen Kinostart erfahren, was bedeutet, daß unüberraschend gemischte Kritiken bereits das Netz kursieren und man es sich also einfach machen (abschreiben) kann. Doch merke: Niemals Blödsinn als Fakt zitieren - Lebensweisheit. Gewalt jedenfalls gehört in HYENA wie in einen Hahnenkampf; sie ist Teil der Mission. Ja, der Film ist unschön, dabei aber von ästhetischer Sensibilität erfüllt. Also Ruhe bitte.

Es gibt einen moralischen Anker in dieser Geschichte, die von einer brutalen Albanerbruderschaft gefangen gehaltene Ariana (Elisa Lasowski). Sie gibt unserem Antihelden Michael Gelegenheit, seinen letzten Rest Menschlichkeit heraufzubeschwören, als er versucht, sie aus ihrer Leibeigenschaft zu befreien. Ihm selbst ist indes nicht mehr zu helfen. Mit der Faszination des Ekels und, um es noch mal zu betonen, vom Klang zum Bild hypnotisiert, bleibt dem geneigten Zuschauer nichts übrig, als der Koksnase auf ihrem Weg nach unten ohnmächtig beizuwohnen.

Everybody wants to go to heaven (but nobody wants to die) ist das letzte Stück des Soundtracks, eine Art prätentiöses Ave Maria aus der Zeitgenossenschaft, doch es paßt hier voll rein, erfüllt es doch die Entfernung zwischen Publikum und Leinwand mit gebührender Leere.

Und Piggeldy ging mit Frederik nach Hause.

DER BUNKER: Eine uralte Unke unkt

 

Die Groteske kehrt alle Jahre wieder. Als ungestüme Mischung aus Rätselspiel, Horror und beknackter Komödie ist DER BUNKER dran, natürlich ein gutbürgerlich deutscher Film, dessen titelgebender Schauplatz nur ein Zufall aus dem Produktionsprozeß ist, denn eigentlich hätte das ganze auch einfach irgendwo in einer Hütte spielen können und sollen - Hauptsache abgeschieden. Denn Abgeschiedenheit ist es, die "der Student" (Pit Bukowski) sucht, um in Ruhe seiner Arbeit am Higgs-Teilchen nachzugehen. Aber falsch gedacht: Alsbald wird der Student von den Hauseignern dazu eingespannt, ihren unterbegabten Sohn Klaus (im Film 8 Jahre, gespielt vom 30-jährigen Daniel Fripan) zu unterrichten, denn dieser braucht die bestmögliche Ausbildung, um eines Tages Präsident werden zu können.

Ein Kammerspiel mit nur 4 Personen, klassisches Szenarium für dramaturgische interpersonelle Wendungen. Der Student, in Bezug auf seine ach so wichtige Arbeit vielleicht ein wenig verschroben, ist dennoch der rationale Anker, der gesunde Publikumsverstand, durch dessen Linse drei noch irrwitzigere Charaktere zu betrachten sind. Die Eltern verfügen über einen Dachschaden, der sie nicht nur komisch, sondern auch bedrohlich macht. Es steht die Frage im Raum, ob die Scharade gar auf etwas abgründigeres hinausläuft, als eine außerirdische Wunde namens Heinrich, die an Mutters Bein klafft.

Will der DER BUNKER mehr sein will als Blödsinn auf hohem Niveau? Ein Spannungsbogen ist zwar da, doch der erschlafft irgendwann. Klaus lernt etwas wichtigeres als die Hauptstädte der Welt - die Entwicklung eines eigenen Willens und die Freude an seiner Durchsetzung. Die Eltern, zunächst einzig daran interessiert, dem Nachwuchs die Bildung buchstäblich einzuprügeln, finden vielleicht wieder zueinander, wenn jener erst aus dem Haus ist. Und der Student, der diese banale und alltägliche Entwicklung mit Gewalt erzwingen will, wird zum Hofnarr reduziert.

Doch was immer man dem Bunker an sozialkritischer Lesart aufzwingen will, gilt es, seinen Panzer großen und groben Unfugs zu durchdringen. Nikias Chryssos tut gut daran, nicht Helge Schneider und Loriot als Vorbilder zu zitieren - das tun ja schon Kritiker ohne Fantasie. Ist auch nicht nötig. Sein Film ist stilsicher und komisch genug, um nicht Höheres anstreben zu müssen. Leistung befriedigend, Versetzung ungefährdet.