THE EYES OF MY MOTHER: Auge um Auge, Psychose in der Hose

 

Warum tut der Töter, was er töt? Nicolas Pesce, so der Name des Regiedebütanten, beantwortet diese Frage für sein Subjekt sporadisch. Etwas passiert im Leben der jungen Francisca (Olivia Bond), das ihren Aufwuchs im abgeschiedenen Familienhaus nachhaltig durcheinanderbringt. Milde ausgedrückt. Die erste Überraschung des Films ist zu gut, um sie zu verraten, doch die Erwachsene Francisca (Kika Magalhaes) ist psychisch so durch, daß die Sympathie, die sie als hilfloses Mädchen noch tragen durfte, dahinschmilzt wie die Pusteblume* im Wind.

Star des Films ist die Fotografie, die breit gefächert von statischem Weitwinkel, Vogelperspektive, ausgewählten Aufnahmen über Schultern und durch Fenster bis zur überwackligen Verfolgungskamera alles zu bieten hat. Während diese zunächst inhaltlich belanglosen Spielereien anfangs fast zu auffällig sind, setzen Skript und Spiel alles daran, Intimität und Subtilität zu wahren. Mit Erfolg. In den banalen Handlungen von Tochter, Mutter, Vater schwingt stets der Wahnwitz der Situation mit, in den drastischen eine  unterkühlte Normalität - wenn sie denn zu sehen sind. Oft und gern bedient sich Pesce gekonnt der Auslassung, ohne aber dabei zu verschleiern, was eben geschehen ist. Momente sichtbarer Brutalität, derer THE EYES OF MY MOTHER trotz alledem reich ist, werden vom schwarz-weiß der Bilder abgefedert. Der Effekt ist willkommen; anstatt dauerhaftem Abstoß durch Ekel bleibt mehr Augenmerk für die Psyche der Personen.

Unterteilt in drei Kapitel sind drei Phasen in Franciscas Leben, in denen jeweils jemand von ihr geht und etwas in ihr erwacht. Abgesehen von einigen Szenen, die konsequenterweise an das vorangegangene anknüpfen, könnten jene Kapitel als in sich schlüssige Kurzfilme stehen, jeweils mit einem eigenen Dilemma und einer eigenen Pointe. Insbesondere jene, die das zweite Kapitel beendet, ist gut genug, daß der ohnehin schon kurze Film (77min) da auch aufhören könnte. Aber weil jede Geschichte einen dritten Akt braucht, geschieht noch mehr. Das ist angesichts der Kraft der Erzählung nichts schlechtes - auch wenn das tatsächliche Ende nicht ganz so stark ist.

*Stilblüte