NERUDA: Ein Gedicht

 

Pablo Neruda (Künstlername), Chilene, 1904 - 1973. Dichter, Schriftsteller, Politiker, Aktivist, Kommunist. Diese Person stellt die Inspiration zum Biofic NERUDA, dem Oscarkandidaten von Pablo Larraín. Viel mehr muß man nicht wissen, viel mehr erfährt man nicht. Die historische Lektion des Films ist es, daß ein Mann dieses Namens existiert hat und aufgrund politischer Verfolgung des Landes fliehen mußte.

Das Jahr der Handlung ist 1946. Neruda, der Dichter, ist als solcher ein Schöngeist, der mit glattgeschminktem Gesicht und theatralischer Stimme literaturnobelpreisgekürte Schmonzetten vorträgt. Neruda, der Senator, ist ein spitzzüngiger Konfronteur, dessen Kritik am despotischen Präsidenten Gabriel González Videla von diesem nicht geduldet wird. So verliert Neruda seine parlamentarische Immunität und beginnt die Flucht, welche sich unter der Schwere einer Erzählstimme - dazu später mehr - schnell der Bodenhaftung und jeglichen Anspruchs auf historische Genauigkeit befreit.

An Stelle einer Biografie präsentiert Pablo Larraín viel mehr eine Interpretation seiner Hauptfigur. Nicht Zahlen und Fakten, sondern Gefühle und Stimmungen bilden das filmische Fundament. Der Poesie Nerudas wird mittels der Poesie der Bilder Respekt gezollt. Das könnte nicht funktionieren, wären die Einstellungen, das Licht, die Schauplätze nicht so bestechend schön komponiert wie seine beinahe pausenlose klassische Musikuntermalung. Stichwort Grieg. Ein Film ganz für die Sinne also, mit Ausnahme der beharrlichen Erzählstimme. Dazu später mehr.

Neruda, der Flüchtige, von Luis Gnecco trefflich verkörpert, verbringt seine Tage in der heimatlichen Idylle seiner bessergestellten Kommunistenfreunde, lebt das gute Leben und schreibt. Derweil hat Óscar Peluchonneau es schwer. Der karrieregeile Polizeichef hat den Auftrag, Neruda zu schnappen. Doch der ist immer einen Schritt voraus, Peluchonneau immer einen Augenblick zu spät. Für den Häscher wird Neruda zur Obsession, was die Erzählstimme unmißverständlich zu Wort bringt. Dazu gleich mehr.

NERUDA, der Film, bedient sich gekonnt der Schlüsselszene. Diese kann hier natürlich nicht verraten werden, sorgt aber in ihrer Folge für eine erzählerische Schwerpunktverschiebung vom Verfolgten hin zum Verfolger, dessen Stimme aus dem Off dem immerguten Gael García Bernal in seiner Rolle als Peluchonneau gehört. So wie die Geschichte mit fortschreitender Laufzeit an Fabelhaftigkeit gewinnt, wird jener Kommentar dazu stetig manischer. Neruda wird für den Häscher zur Raison d'être, während er ihm physisch und dem Publikum konzeptionell entgleitet.

»Show, don't tell« heißt es - doch selbst der Einsatz eines Erzählers aus dem Off ist nicht kategorisch zu verurteilen, nur meist schlecht verwirklicht oder schlicht überflüssig. In NERUDA greift das Stilmittel, weil Erzählung im Text und Erzählung im Bild sich wunderbar ergänzen, ein gemeinsames Ziel verfolgen, sich gegenseitig verstärken. Zum träumerischen Pathos von Bild und Musik gesellt sich wohlig-warmes Bettgeflüster.

Wer das Gewäsch im Film und hier im Text nun als »prätentiös« verschreit, hat recht, bedeutet dieses Adjektiv, als Kritik geäußert, doch zirka genau »Ich fühle mich intellektuell eingeschüchtert« und ist ein gutes Mittel, Gefallen oder nicht eines solchen Werks rechtzeitig einzuschätzen. Ein verkopftes Stimmungsstück ist es, eine filmische Zelebration seiner selbst, mystisch, ungreifbar, meta meta. Doch wer sich darauf einlassen mag, gewinnt ganz groß.