FRENZY: Parabolisch

 

Der Schlechtfühlfim des Jahres kommt aus der Türkei. Eine Quasi-Dystopie minus Futurismus, angereichert mit den Themen von heute; Terror, Paranoia, Unterdrückung.

Ein alternder Häftling erhält einen Bewährungsdeal. Zu seiner Freiheit soll er in einer verdeckten Polizeiaktion als Schnüffler arbeiten. Die zu schnüffelnden Substanzen sind Bombenzutaten. Es gibt einen Crashkurs in Geruchserkennung, dann geht es ab auf die Straße, Mülltonnen durchwühlen und Schrott katalogisieren. Wer keine brauchbaren Infos liefern kann, kommt zurück in den Knast. Das will Kadir (Mehmet Özgür) freilich nicht. Gewissenhaft tippt er tägliche Berichte in seine Schreibmaschine.

Kadir hat(te) zwei Brüder. Der jüngere ist zehn Jahre verschollen, der jüngste, Ahmet (Berkay Ates), erinnert sich kaum noch an Kadir. Entsprechend unbeholfen ist die überraschende Wiedervereinigung. Man kennt sich nicht. Ahmed hat selber dick Probleme; die Familie ist ihm davongelaufen, und seine Arbeit als Hundeerschießer ist sichtlich ungeeignet, die Lücke in seinem Leben zu füllen. Erst als er einen der Hunde heimlich adoptiert, nachdem er bei dessen Tötung versagt hat, kehrt ein Anschein von Sinn zurück. Doch der Akt milder Ordnungswidrigkeit geht mit einer zunächst nur schwer irrationalen Obrigkeitsangst einher, die schnell zum totalen Verfolgungswahn ausartet.

Wenn eines unklar bleibt im oppressiven Sperrwerk FRENZY (Abluka), dann alles. Wohin die Reise geht, ist zu keinem Zeitpunkt absehbar. Doch zwischen Momenten der Handlung entfaltet sich eine Düsterkeit, die wenig Hoffnung darüber läßt, ob jenes Ziel ein gutes ist. Natürlich ist es das nicht. Draußen schwelt ein Krieg zwischen unsichtbaren Attentätern und einer abstrakt einschüchternden Staatsmacht, die das Leben der Protagonisten nicht direkt zu betreffen scheint und doch alles vereinnahmt.

Benannt oder zeitlich verortet werden diese Kräfte bewußt nicht. Regiemeister Emin Alper war nach eigener Aussage bedacht, einen universellen Film zu machen. Dessen Entstehung im Jahr 2014 schließt einen Kommentar zur brandakuten Lage der Türkei 2016 zwar aus, ist von der jüngeren Landesgeschichte aber offensichtlich mehr als inspiriert. Der Austragungsort ist erkennbar Istanbul, doch es sollte auch ein Land vor unserer Zeit sein können. Die gewollte Uneindeutigkeit erzeugt im unbedarften Seher Konfusion. Eine zeitlose Parabel mit Gegenwartsbezug, eine politische Stellungnahme als hypothetisches Fallbeispiel, eine globale Geschichte mit Lokalflair. Was denn nun.

Die gefährlich frustnahe Unsicherheit darüber, wie das Gezeigte zu interpretieren sei, ist der potenzielle Fallstrick, den FRENZY nur dadurch übersteigt, daß genau dies die Pointe ist - Unsicherheit als negative Emotion. Die Herren auf der Leinwand waten darin, Alper macht sie seinem Publikum filmisch spürbar. Die Häßlichkeit des Lebens in schönen Bildern - so schön, wie man verwahrloste Vororte, Müllhaufen und Hundeleichen eben aufnehmen kann. Eine Ästhetik der Klaustrophobie auf weiter Brache.

Nein, schön im Sinne von schön ist das alles nicht. Allenfalls schön beklemmend. Die Welt ist großer Mist, in Alpers Film und in echt. Zumindest diese Frage bleibt nicht offen.