ENEMY: Der Film ist dem Buch sein Feind

 

Jake Gyllenhaal, Trüffelschwein 2014. In Nightcrawler, hochgelobtem Spektakel aus Mediensatire, Charakterstudie und Thriller, hat man ihn in nur einer von drei der wichtigsten Hauptrollen des Jahres gesehen. Er füllt diese Rolle zwar ebenso perfekt aus wie gemeinhin behauptet, wichtiger für den cineastischen Jahresrückblick jedoch sind seine beiden anderen Hauptrollen in ENEMY, welcher hörige Bestseller-Leseratten überall im Netz zu verärgern weiß.

So stellt man bei der Recherche nach Sichtung des Films fest, daß dieser eine Romanvorlage hat, welcher er nicht gerecht wird. Da wurden Charaktere umgeschrieben, Bedeutungen verdreht, Ereignisse dazu erfunden und überhaupt, alles völliger Blödsinn. Blödsinn, sich darüber zu echauffieren: Der Film funktioniert. Wer also als Kenner José Saramagos O Homem Duplicado neugierig auf dessen filmische Adaption ist und Gefallen oder Verriß davon abhängig macht, kann zuhause bleiben.

Für alle anderen hätte ENEMY einer der besten Filme des Jahres sein können, wenn ihn denn jemand gesehen hätte, was freilich nicht der Fall war. Dabei erinnert der Film daran, was das Medium überhaupt so faszinierend macht: Hier werden die Möglichkeiten filmischer Mittel aufs Vollste ausgeschöpft, eine Geschichte nicht nur zu erzählen, sondern zu zeigen. Visuelle Motive, Auslassungen, Schnitt und surreale Bildkompositionen werden zu einem stimmigen Gesamtwerk vermengt, welches stolz sein kann, seine Romanvorlage hinter sich gelassen zu haben. Nicht zwingend, weil es besser ist, aber weil es gut ist, wie es ist.

Zur Prämisse: Der Geschichtslehrer Adam (Jake Gyllenhaal) entdeckt eines Tages seinen Doppelgänger Anthony (Jake Gyllenhaal) als Nebendarsteller in einem Film. Er versucht, diesen ausfindig zu machen. Daraufhin passieren Dinge. Es kommen Spinnen vor.

Nein, Gyllenhaals Schauspiel kommt nicht an die Komplexität seiner schaurig virtuosen Verkörperung des soziopathischen Nightcrawler heran, was aber der Rolle geschuldet ist. Zwar sind Adam/Anthony als Charaktere nicht weniger interessant - das wäre fatal, handelt der Film doch in Gänze von ihnen - jedoch liegt das Augenmerk des Films auf der Erschaffung des Rätsels, wer diese Personen sind. Wo Nightcrawler bewußt große Charaktermomente schafft und sich ganz in der morbiden Faszination mit seiner Hauptrolle suhlt, verlangt ENEMY seinem Rollenpaar Zurückhaltung und Introvertiertheit ab. Weniger große Worte, mehr kleine Gesten. Hier ist die Interaktion der Figuren miteinander und mit ihrer Umwelt der Schlüssel zum Verständnis des gesamten Films.

Denn ENEMY ist einer dieser Filme, einer der Sorte "Hä was", welcher sich oberflächlich leicht mit Lynchs Lost Highway vergleichen läßt. Mehr aber auch nicht, denn während Lost Highway sich in den eigenen Schwanz beißt und unmöglich als singuläre, chronologisch stringente Geschichte auflösbar ist, sondern nur als Parabel funktioniert, steckt hinter all der Verwirrung in ENEMY eine intime Charakterstudie mit einem Anfang und einem Ende. Der Kniff des Films ist es, nicht klar zu machen, wer hier eigentlich studiert wird, und so dem interpretativ geneigten Zuschauer Raum für wild spekulative Diskussionen am Kneipentisch oder im Internetforum zu lassen, bestenfalls ohne dabei in frustrierender Sinnlosigkeit zu enden. Diese ist nur dann garantiert, wenn man sich an der Ebenbürtigkeit mehrfacher unterschiedlicher Auslegungen stört. Denn obgleich Regisseur Denis Villeneuve, ebenfalls anders als Lynch, auf Anfrage bereits einen eindeutigen Schlüssel zur Auflösung des Gezeigten bereitgestellt hat, ist man doch besser beraten, nicht hinzuhören, wenn andere reden. Selber denken. Weghören.

Ungeachtet der gewählten Auslegung bleibt ein visuell und atmosphärisch beeindruckendes Filmerlebnis, welches im Gegenzug für seine kompakten 90 Minuten volle Aufmerksamkeit während seiner gesamten Laufzeit verlangt.

Und was ist mit O Homem Duplicado? Keine Ahnung, nicht gelesen, und zur Sichtung und Analyse von ENEMY in jeder Hinsicht irrelevant. Fuck literature.