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Auf AXIOM verknüpfen Archive das Ende einer Beziehung mit dem Ende einer Gesellschaft. OK.

Lassen wir Relativität und Objektivismus beiseite: Archive waren fortschreitend langweilig geworden. Da ist das 2014 erschienene Album AXIOM eine gewaltige Überraschung. Brilliant komponiert, atmosphärisch dicht, spannend und eines Zweizeilers in einer nach Los zusammengewürfelten Top X des Jahres unwürdig. Ein "Konzeptalbum", worauf leider hingewiesen werden muß, da so viele Alben kein Konzept haben, obwohl dies eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Ein Soundtrack sowohl fürs Kopfkino als auch für den eigenen Begleitfilm, ein ausgedehntes Musikvideo in Albumlänge, das seine ganz eigene Geschichte erzählt. Daher das gesellschaftliche Ende.

Die Tracklist gibt sieben Titel an, es befindet sich aber effektiv nur ein Stück auf dem Album. Hier gibt es keine Pausen, und das ist richtig so - die Dramaturgie des Albums verlangt danach, diesem in einem Zug, von Anfang bis Ende, zuzuhören. Ein solitär gehörter Titel ist nur eine Hörprobe, ein Teaser. Wer dem Spannungsbogen ordnungsgemäß folgt, wird mit schön gesetzten Höhepunkten und wiederkehrenden Motiven belohnt.

Es beginnt mit viel Emotion, ruhig und balladesk. Gesang und Streicher, die im Anschluß in einer ausgedehnten Kakophonie aus Kirchenglocken ertränkt werden. Es sind diese ersten vier bis fünf Minuten des Titelstückes AXIOM, die den Ton angeben. Klanglich herrscht fortan das vor, wofür wir in rezensiver Willkür das Wort "Psychedelectric" erfinden, stets untermalt von einem düster brodelnden Grundton und weniger vom Schlagzeug vorangetrieben, als von einer musikalisch akzentuierten Erzählung. Wir hören viel von Schmerz und Konflikt, im Text und in den Stimmen. Dieser sind es vier an der Zahl - die für Archive nicht unübliche Diversität. Die Figuren stehen im Dialog und haben sich wenig Nettes zu sagen, bis irgendwann Schluß ist.

Das Ende ist seltsam versöhnlich.
"We're not talking anymore
Free and happy to ignore"

AXIOM ist nicht frei von Pathos, was den intellektuell vorangeschrittenen Kritiker üblicherweise sofort zur elaborierten Verbalkotze verführt. Wer nun "Distorted Angels" in die Internetsuchmaschine der Wahl eingibt, findet Archive. Ist aber in Ordnung, denn der gelegentliche Anflug lyrischer Schwäche wird von einem starken kompositorischen Gerüst getragen. Wir rümpfen also kurz die Nase, erkennen dies aber schnell als überheblich an und tun so, als hätten wir nur mal eben niesen müssen. Wahrscheinlich, weil uns die Emotionen ins Riechorgan gefahren sind. Schuld sind die Hingabe der Darbietung und ein paar tolle Melodien. Zudem tut der Film zur Musik sein Bestes, die klischierten Motive zu verarbeiten.

Im Film herrscht Bürgerkrieg. Ein rebellischer Untergrund stemmt sich gegen ein totalitäres System, das die Menschen mit einer Art Gehirnwäsche und Geburtenkontrolle im Griff hat. Das alles nach dem 3. Weltkrieg, "the war to end all wars". Das große Ganze bietet zugegeben wenig Originalität. Diese steckt dann erfreulicherweise in den Details. Es beginnt mit einem Gebärdenkonzert für Taube, ausgeführt von einem Blinden. Die Taubheit ist selbstverursacht und dient der Flucht vor dem unterdrückenden Klang der Glocke. Ein Kopfschuß führt nicht zum Tod, sondern zu plötzlich wiederkehrender Sinneswahrnehmung, was nur für Menschen in dieser Welt noch schlimmer ist. Der innere Tod. So tiefgründig.

Später sehen wir eine Foltermethode, die glücklicherweise von keinem Kontrollgremium gesichtet wurde, denn das Albumcover ist frei von gestalterisch lästigen Hinweisen zur Altersfreigabe. Der Messias trägt drei Armbanduhren, zur Sicherheit. Das ganze ist hervorragend gefilmt und natürlich schwarzweiß.

Die Reise ist nach knapp 40 Minuten zu Ende und damit ganz deutlich Archives kürzestes Album. Es tut der Scheibe gut. Hochkonzentriert, frei von Speck, frei von Langeweile.