PIONEER HEROES: Hängen geblieben

 

Hier, eine frische Idee für eine Geschichte: Ein paar Kinder mit großen Zielen wachsen zu desillusionierten, psychisch labilen Mittdreißigern heran. Gut, so originell ist das auch wieder nicht. Allein: das Heranwachsen wird nicht gezeigt, stattdessen findet eine bloße Gegenüberstellung des damals und heute statt, indem die Handlung zwischen 1987 und Gegenwart vor- und zurückspringt und es dem Zuschauer überläßt, sich einen Reim darauf zu machen, wie es nur dazu kommen konnte.

Katya, leicht beeinflußbar, hielt das illegale Schnapsbrennen in Onkels Küche für ein schlimmes Verbrechen, das ihr am Gewissen nagte und Albträume bereitete. Heute spielt sie Nebenbuhlerin mit einen verheirateten Mann. Andrey züchtete Schimmel in einem Glas unterm Bett, war damals schon verzogen und störrisch und spielt heute Videospiele, während er sich kalt und abweisend gegenüber seiner Frau zeigt, die ihn aus unerfindlichen Gründen sehr zu lieben scheint. Und Olga war ein stinkgewöhnliches Kind, abgesehen von ihren durch faschistoide Gedanken ausgelösten Orgasmen seit dem fünften Lebensjahr. Heute leidet sie unter Panikattacken und glaubt ihrem Psychiater nicht, wenn er sagt, sie sei sexuell frustriert. Alle drei waren aspirierende Wladimir Iljitsch Lenin Pionier-Helden (oder so ähnlich). Im Grunde eine Gruppe Pfadfinder sowjetischer Prägung.

Wahrscheinlich muß man tatsächlich in der Sovietunion aufgewachsen sein, um Empathie für diese Figuren zu entwickeln. Natalya Kudryashova (Regie, Drehbuch, Olga erwachsen) verzichtet nämlich darauf, sich oder ihre Charaktere zu erklären. Natürlich weiß jeder von der Auflösung der Sowjetunion. Das war 1991, also in den entscheidenden Lebensjahren der heranwachsenden Pioniere. Da PIONEER HEROES (Pionery-geroi) diese Geschichte aber nicht zeigt, soll der Film also kein historisches Dokument sein. Doch was soll er sein? Als Charakterstudie ist er zu fragmentarisch, zu groß ist der Zeitsprung, zu gering sind die Informationen über jene Studienobjekte. Als Bestandsaufnahme der heutigen russischen Gesellschaft wiederum ist er zu spezifisch. Als politischer Kommentar ist er zu verklärt.

Und dennoch übt PIONEER HEROES eine seltsame Faszination aus, unterstützt durch seine makellose Fotographie architektonischer Räume, die als Verbildlichung der Verwirrung und Entfremdung der Protagonisten fungieren. Es ist ein nostalgischer Abgesang auf verlorene Kindheitsideale, so seltsam sie dem westlichen Zuschauer in diesem Falle auch erscheinen mögen. Ein Heimatfilm eben.