A GIRL AT MY DOOR: Von schlechten Eltern

 

Damals: Heat. Eine Ausrede, zwei der größten Stars seiner Zeit (Al Pacino und Robert De Niro) einmal zusammen auf die Leinwand zu bannen. Das Ergebnis ist ebenso unterhaltsam wie stupid und reicht nicht weit über seinen Event-Charakter hinaus.

Heute: Doona Bae vs. Sae-ron Kim in July Jungs A GIRL AT MY DOOR (Dohee-ya). Ok, der Vergleich ist vollständig unbrauchbar und natürlich nur eine Ausrede, beiläufig einmal über Heat geschumpfen zu haben. Denn zwar sind hier zwei der besten koreanischen Schauspielerinnen erstmals gemeinsam in einem Film zu sehen - doch wer kennt schon koreanische Schauspielerinnen, und wen interessiert's? Es sollte, denn der Film ist ganz und gar hervorragend.

Doona Bae ist vielleicht die einzige Landsfrau ihrer Profession mit internationalem Mainstream-Profil, seit sie in Cloud Atlas mitspielen durfte, kürzlich dann noch einmal in Jupiter Ascending. Siehe da, plötzlich weiß jeder Bescheid: natürlich, die eine da. Für Freunde des japanischen Films ist sie als zum Leben erwachte Sexpuppe in Hirokazu Koreeda's Air Doll bekannt. Zuhause jedoch spielt sie meist etwas bodenständigere Rollen. Ihr größter Charme ist dann auch ihre Natürlichkeit, sowohl im Schauspiel als auch in ihrer unkonventionellen physischen Attraktivität, insbesondere unter Koreanern, deren typischem Schönheitsideal sie in keinster Weise entspricht. Beachtlich ist das Spektrum, das die ungelernte Schauspielerin mit ihren Mitteln auf die Leinwand bringt, oft als gesellschaftliche Außenseiterin.

Diesmal ist sie Young-Nam, Polizeichefin. Nach ihrer Versetzung aufs Land, die einem nicht konkretisierten Zwischenfall in ihrer vorherigen Position folgt, wird sie schnell auf das Mädchen Dohee (Sae-ron Kim) aufmerksam. Erst rettet sie sie vor hänselnden Mitschülern unterwegs, dann vor der Hand des alkoholisierten Ziehvaters Yong-Ha (Sae-Byeok Song) daheim. Die zunächst verschüchterte Dohee schließt schnell zu ihr auf und entwickelt eine problematische Anhänglichkeit. Young-Nam indes weiß keine klare Grenze zu ziehen, läßt Dohee bei sich wohnen und gerät auch außerhalb des familiären Konflikts immer wieder mit Yong-Ha in Konfrontationen.

Sae-ron Kim hat die Rolle der gepeinigten Minderjährigen gepachtet. Ihren ersten Auftritt hatte sie 2009 als Neunjährige in Ounie Lecomtes A Brand New Life als Mädchen, das eines Tages ohne Vorwarnung von ihrem Vater in ein Heim gebracht wird, um dort fortan auf ihre ausländische Adoption zu warten. Die Kamera folgt darin der Laiendarstellerin während der gesamten Laufzeit - Kim ist das zentrale Objekt des Films, und so liegt es an ihr, die gesamte emotionale Sogkraft des Films in ihrem Schauspiel zu entfalten; eine Aufgabe, der sie auf spektakuläre Weise gerecht wird.

Selten hat man das Glück, eine so überzeugende Kindsdarbietung zu beobachten, und so darf man der jungen Sae-ron Kim dankbar sein, eine Karriere aus ihrem Talent zu machen, wenngleich die Qualität ihrer bisherigen Filmographie noch etwas durchwachsen ist. Ein Tiefpunkt ist Barbie (2011), der ihr Können in einer Geschichte karrikativ überzeichneter Bösartigkeit und an der Seite schmerzhaft unbegabter englischsprachiger Darsteller verschwendet. Auch hier ist sie eine verlassene, ungeliebte Tochter.

Und nun schon wieder in A GIRL AT MY DOOR. Der Originaltitel DOHEE-YA verweist schon darauf, daß wieder sie im Mittelpunkt steht. Glücklicherweise aber wird die Protagonistenrolle diesmal von Doona Bae eingenommen. Bae muß nichts mehr beweisen und verkörpert ihre Rolle mit dem erwachsenen Understatement einer Schauspielveteranin. Dies gibt Sae-ron Kim Gelegenheit, ihre Opferrolle um eine faszinierende Rätselhaftigkeit mit antagonistischen Zügen zu erweitern.

Schuldzuweisung auf Opfer häuslicher und/oder sexueller Gewalt und die Priorisierung des guten Rufs von Gemeinden und Institutionen über die Belange der Opfer ist ein Problem, welches der koreanischen Gesellschaft nicht fremd ist, sofern man die filmische Behandlung des Themas als Indikator heranzieht. Niemand in DOHEE-YA weist der Titelfigur die Schuld an ihrer Mißhandlung zu, doch der perfide Kniff des Films ist es, den Zuschauer selbst in die unangenehme Position zu bringen, den Charakter des Mädchens zu hinterfragen. Sie scheint nicht ganz normal. Sae-Ron Kims Figur ist komplexer als gewohnt, bewegt sich mühelos zwischen den Gemütszuständen, spielt mit der Sympathie des Zuschauers und zementiert Kims Status als Ausnahmetalent.

Allein im Umgang mit dem kriminell gewaltbereiten Ziehvater zeigt sich die Schwäche gesellschaftlicher Standards und die Inkonsequenz der Staatsgewalt. Statt einer Verhaftung gibt es lange nur Verwarnungen. Young-Nams Polizeikollege betont die Wichtigkeit Yong-Has für die Ökonomie der kleinen Gemeinde und meint, der Alkohol sei an allem Schuld - das Symptom als Ursache. Er weiß nicht, daß Young-Nam selbst ohne Alkohol nicht schlafen kann.

July Jung macht fast alles richtig. Ihr Film adressiert soziale Themen, ohne die Moralkeule herauszuhohlen und bleibt im Kern eine intime Geschichte über eine Gruppe gebrochener Charaktere. Wie fast alle koreanischen Filme, egal ob große Blockbuster oder kleine Indiestreifen, kann auch A GIRL AT MY DOOR hervorragende Produktionswerte vorweisen. Anders als viele Filme des Landes jedoch, die sich beinahe dogmatisch um eine Laufzeit von ungefähr zwei Stunden bewegen, ist dieser mit einer ähnlichen Laufzeit keinen Moment zu lang. Als Kritikpunkt bleibt einzig das Drehbuch übrig, welches zwar in seiner Dramaturgie und eben der Zeitökonomie ebenfalls sehr effektiv ist, an einigen wenigen Stellen jedoch ein wenig Subtilität vermissen läßt und teils zu offensichtlich eine bestimmte Sichtweise auf seine Figuren präsentiert.

A GIRL AT MY DOOR ist empfehlenswert für Fans von Doona Bae, Sae-Ron Kim, koreanischem Kino und vor allem Filmen allgemein, leider aber noch nicht lokal erhältlich. Immerhin ist der in Cannes 2014 nominierte Film seit Weihnachten letzten Jahres schon mal als englisch untertitelter Import erhältlich.