BABYMETAL live: Moametal, Fußballgott

 

Zunächst eine Entschuldigung für die immer wiederkehrenden Nonsens-Subtitel, deren Sinn sich nur einem sehr engen Personenkreis um deren Autor, des ominösen »Ich«, um dessen Erwähnung sich die Textkapaden des BLOCKs in einem fehlgeleiteten, verschachtelten Vorstoß nach Scheinobjektivität schlangenhaft herumaalen, erschließt. Es war das Jahr 2001, auf einem Konzert von Nick Cave & The Bad Seeds in München, als scheinbar vollkommen zusammenhangslos, aber dafür umso belustigender, ein einsamer Schrei aus dem Publikum ertönte: "Blixa Bargeld, Fußballgott". Das Konzert war etwas zu laut, die Abmischung dementsprechend verwaschen. Die einzige Gemeinsamkeit mit BABYMETAL 2015 in Berlin.

Das Wort »ohrenbetäubend« möchte gerne ernst genommen werden, nicht als figurativer Begriff, sondern als physische Realität. Es dauert eine gute Stunde, eher zwei oder sogar drei, bis das Hörvermögen wieder auf Normalniveau zurückgeklettert ist. Und je höher die gewünschte Frequenz, umso länger muß auch zurückgeklettert werden. Dem Mosher, oder - im Falle von BABYMETAL - dem Mosh'sher, ist das egal. Er braucht Lautstärke, um sich zu entfalten. Die übrigen Besucher tragen die Musik im Herzen. Das Hirn ruft die emotionale Erinnerung ab und hilft bei der Ausdifferenzierung dessen, was im unterbesetzten Haus zu auditivem Brei verkommt. Nicht der Besetzung wegen, sondern des Herrn am Mischpult, der zwar auch nur Lakai sein mag, zweifelsohne aber die finale Instanz ist, welche Su-Metals Stimme immer mal wieder in den berstenden Bereich pushen muß.

Sound also nicht so toll. Zweifellos nicht unbedeutend, aber möglicherweise kann das Konzert ja in den Rubriken Grafik und Spielspaß Prozentpunkte gutmachen. Protip für aspirierende Schreiberlinge: Die kommentarlose Anwendung genrefremder Maßstäbe ist guter Humor und bezieht den belesenen Leser ein, ohne den außenstehenden Außenseiter auszuschließen. Offensichtlich selbstaffirmative Pleonasmen hingegen sind zu vermeiden.

Zur Geschichte: Der Fuchsgott hat die Darstellerinnen Suzuka Nakamoto, Yui Mizuno und Moa Kikuchi in Su-Metal, Yui-Metal und Moa-Metal umbenannt und sie dazu eingewiesen, irgendeine Résistance gegen irgendwas zu bilden, keine Ahnung, ist ja auch egal, der Quark interessiert original niemanden - aber er existiert und eröffnet jedes Konzert in Form einer Erzählstimme aus dem Off. Passend dazu bleibt die Identität des Fuchsgottes im wahren Leben - die Rede ist von BABYMETALs Produzenten - geheim. Eine elaborierte, fabrizierte Legende, ausgesponnen bis in Details wie die Gestik der Mädchen, die, so sagt die Legende, das Mano cornuta einst mißverstanden und hernach als schattenspielerisches Fuchsbildnis wiedergaben - die Hörner zu Ohren verfremdet. Produktionsaufwand, der am gemeinen Mosher verlorengeht.

Mosh'sher und Fans hingegen wissen Bescheid. Außerhalb der Pit wird zumeist korrekt gestikuliert. Einsätze stimmen. Das Bewegungsmodell im Publikum und in der Pit ist wissenschaftlich etabliert, das auf der Bühne erprobt und durchchoreographiert, ebenso wie jede Interaktion der Obrigen mit den Untrigen. Es wird ein Programm abgeliefert, das identisch ist mit allen anderen Auftritten. Es ist Theater. Wer das Stück schon einmal woanders oder durch einen audiovisuellen Datenträger gesehen hat, darf keine Überraschungen, keine Varianz erwarten. Erwartungen, die Mosher von vornherein zuhause lassen.

Nicht nur die Mädchen in ihren Kawaii-Goth-Kostümen, sondern auch die bleichgeschminkte Liveband ist Teil der Choreo, auch ihre Körpersprache und Mimik einstudiert. »Live« verdient Erwähnung, denn in der Fusion mit hoch artifiziellem J-Idol-Pop nicht selbstverständlich und auch nicht immer so gewesen, siehe Prä-2013. Doch Metaller haben international hohen Anspruch an die Virtuosität ihrer Performer, und so erscheint es nur logisch, daß der Wechsel von der offensichtlichen Playback-Band im blickverhindernden Gesicht-inklusiv-Skelettoverall zur live spielenden Band aus Profimusikern im Engagement ungefähr gleichzeitig mit dem plötzlichen Popularitätsaufschwung der Gruppe einherging.

Insgesamt ist der Anblick gut, wenngleich er ein wenig von der Opulenz des heimischen Konterparts eines BABYMETAL Gigs vermissen läßt. Bühnenaufbau und technische Fisimatenten sind vor einem bis zu 20.000-köpfigen japanischen Publikum ein paar Nummern größer angelegt. Huxleys Neue Welt in Berlin mit seinem 1.600er Fassungsvermögen ist hingegen nicht gefüllt. Die Tribüne mit ihrem Anteil von 300 Plätzen bleibt von vornherein geschlossen, und das Parkett bietet noch erstaunlich gute Bewegungsfreiheit in den Peripherien. Das Konzert in Berlin war eine von zwei zu Ende Mai angekündigten Zugaben, welche die Zahl der Deutschlandauftritte in diesem Jahr verdoppelten. Die Hingabe von Seiten des Managements ist natürlich willkommen. Man kann sich glücklich schätzen, wenn japanische Acts überhaupt auf Welttournee gehen - der im internationalen Vergleich starke heimische Musikmarkt und eine lebhafte Konzertkultur bedingen dies nicht, sofern kommerzieller Erfolg gefragt ist.

Grafik also zufriedenstellend. Wie sieht es mit dem Spielspaß aus? Haben BABYMETAL Spaß am Spiel?

Ein frustrierender Aspekt der intellektuellen Auseinandersetzung mit der Idol-Szene ist die Unmöglichkeit, ihren Protagonistinnen authentische Stellungnahmen zu entlocken. Bei der Lektüre eines beliebigen Interviews stößt man immer wieder auf dieselben, vom Management autorisierten und dementsprechend unverfänglichen Fragen sowie auf deren sorgfältig vorgefertigte Antworten. Das fällt üblicherweise nicht weiter auf, sofern nicht plötzlich die Allerweltspresse anfängt, sich zu interessieren - und für BABYMETAL interessiert sich alle Welt. Der Erfolg der Gruppe, einhergehend mit einer Erweiterung des Idol-Publikums um Metalheads und Liebhaber des Gimmicks, welche je nach Standort unterschiedliche Gewichtung in der Crowd haben, hat außerdem den Effekt, daß Suzuka, Yui und Moa nicht mehr austauschbar sind, wie in der Idolindustrie mit ihren rotierenden Besetzungen eigentlich üblich. Es hat auch den Effekt, daß für die Aufrechterhaltung des Impulses (physikalische Metapher) zusätzliche kreative Ressourcen aufgebracht werden müssen.

BABYMETAL spielten am 27.08.2015 in Berlin zum nicht mitgezählten Male dieselbe Nummer. Wie die Befindlichkeit ist, läßt sich vom eingeübten Lächeln nicht ablesen. Es gibt keinen Moment der Pause, des ausgelassenen Umsehens, der spontanen Fraternisierung mit dem Publikum. Das Programm wird stringent abgearbeitet. So ist das eben. Hatten BABYMETAL Spaß? Na hoffentlich, dazu sind die Schulferien schließlich da. Den Mosher und in der Tat auch den Mosh'sher indes begleiten diese Fragen nicht. Er führt ein einfaches, aber friedfertiges Leben, vom Verletzungspotenzial in der Pit abgesehen. Er hat Spaß.

Lohnt sich also der Besuch? Zur Klärung des Fazits stellen wir Investition ins Verhältnis zu Gewinn. Die Investition beträgt etwa 40 Euro und einen Donnerstag Abend und spielt dank Überflußgesellschaft keine Rolle in unserer Gleichung. Demgegenüber war es wichtig, BABYMETAL noch einmal in dieser Form gesehen zu haben, die letzte Chance auf ein durchgängig minderjähriges Front-Lineup. Sie werden immer größer, jeden Tag ein Stück. Sängerin Suzuka wird im Dezember Achtzehn an der Jahreszahl. Die beiden »Screamer« Yui und Moa haben noch bis Mitte 2017. Die Gegenüberstellung aus maskulin vollreifem Powermetal und kindlichem Idolpop ist der wichtigste Anziehungspunkt der Formation, der What-The-Faktor, der BABYMETAL viral gemacht hat. Doch als nächstes muß eine Renovierung des Konzepts stattfinden, wenn es künstlerisch überzeugend weitergehen soll.

Sofern im Geheimlabor des im Mysterium verhüllten Strippenziehers nicht bereits ein grandioses, vollwertiges und vor allem albumfüllendes Zukunftskonzept brodelt, zeichnet sich jene Zukunft in trist repetitiver Kurzlebigkeit. BABYMETAL gibt es seit 2010, das letztjährige Album war im Wesentlichen eine Kompilation aus 4 Jahren Singlematerial. Seither ist die überwältigende Flut von einem Stück als Neumaterial hinzugekommen. Es ist auf der diesjährigen, außerjapanischen Veröffentlichung des Albums enthalten und gehört in seiner Mischung aus Wiederkäutem und käsiger Stadionhymne zu den schwächeren Beiträgen. »Road of Resistance« lautet sein in der Kontextualisierung mit der Erfolgsgeschichte der Band ironischer Titel.

Die Zeit des Hypes. Es war ein schöne Zeit. BABYMETAL hatten Spaß, wir hatten Spaß, unser beneidenswerter Freund, der Mosher, hatte sowieso Spaß. So war es, so soll es immer sein. Wir wollen Spaß. Immer mehr Spaß. Haben wir noch Spaß? Spaß Spaß Spaß.