Omas Lochers Rache aus der Unterwelt

 

Ein kleine Wohnung direkt neben dem immerwährenden Wanderzirkus; ein altes, baufälliges Haus mit morschem Holzgeländer an den Treppen, wo Morde noch den Charme des mysteriös-romantischen genießen. Die Simpsons, Figuren aus der Dämmerung und ihre neuen Nachbarn von gegenüber, werfen strenge Blicke in das noch nackte Zimmer. Drinnen ist Lotta. Lotta zieht um; sich. Raus aus der Coyote Ugly Franchise aus dem Sommerschlußverkauf und rein in ihr Bühnengewand für die Zaubershow. Holzgamaschen, Netzstrümpfe, eine brillantbesetzte Maske und einen Bömmel am Arsch. Vater Simpson reibt sich unauffällig den Schritt am Türrahmen. Ashlee und Jessica albern im Garten.

Die Gitter der Fenster - alle Fenster hier haben sie - werfen ein sexy Streifenmuster auf Lottas bloßgestellten Körper. Wie im Biene Maja Comic, nur anders herum. Streifen machen schlank, das kann sie gebrauchen, findet sie. Die Haare sind zusammengesteckt, der Pürierstab steckt in der Scheide. Liebevoll nennt sie ihn auch "Zauberstab". So geht es raus auf die Bühne. Lotta schlägt das Fenster ein und hüpft aus dem dritten Stock direkt in die Manege. Von der Türlaibung her erklingt ein süffisant-sehnsüchtiger Brunftlaut des beleibten Mannes.

Drinnen im Zirkuszelt diffundiert blauer Nebel in alle Richtungen. Lotta landet zum punktgenauen Anschluß an eine Exorzistennummer, an deren Ende der Geisterjäger John Sinclair niederstreckt. Das Zelt hat sie dabei heruntergerissen. Sie erhebt sich nach dem Aufprall im Kreuzfeuer des Applauses von Band; es sind keine Zuschauer da. Das letzte Mal kamen sie '39, vor der großen Umwälzung. Jetzt lesen sie lieber lustige Taschenbücher. Darum ist diese Show ganz allein für sie. Hier findet sie ihre Absolution. Ihre Mitakteure sind ihre Schatten. Sowie er davonkriecht, gibt der Nebel sie langsam frei. Die Scheinwerfer lassen Lolita leichenblass erscheinen und erhellen den Raum nicht. Glück für sie, das weiß sie. Ihr Makeup sitzt nicht. Ein Luftstoß kühlt ihren Schweiß. Strengt ihr schwerer Atem nach dem Sprung sie an, oder ist es das ordinäre Lampenfieber? Es ist ihr größter Auftritt.

Sie atmet noch einmal den blauen Nebel ein, erhebt ihren Blick zu den Scheinwerfern wie zu funkelnden Sternen, schafft Erleichterung in ihr Gesicht und ruft:

"Liste deutscher U-Boote! Neunzehn-Fünfunddreißig bis Neunzehn-Fünfundvierzig! U Fünfhunderteins bis U Siebenhundertfünfzig!" Kurze Pause. Sie steht stramm, die Hände zu Fäusten gegen den Erdboden gerichtet. "Eins: USS Greeneville! SSN Sieben Sieben Zwei!"

"Falsch!" tönt es durch die Reihen. Der Geisterjäger tritt ans Licht. "Nicht deutsch, nicht U-Boot, nicht Fleisch, nicht Fisch. Ignorantes Mädchen, fort mit dir, zurück nach Asien, Dubai oder meinetwegen Steinach. Thüringen ist auch schön, wenngleich das System dich anders glauben lassen mag, und dir als Bühne sehr viel wirtlicher, um deine Spruancen abzuhalten!"

Das war ein Wort zuviel aus dem lästernden Maule des Geisterjägers. Lotta findet Spruance klasse. Unter der harten Schale, in die sie sich geworfen hat, bricht ein weicher Kern. Ein immergrüner Schutzmann, scheinbar hier vom Anbeginn der Zeit, weiß immer, was zu tun ist. Er spielt das Band ab. Lottas Lippen bewegen sich zum Text.

"Whoever said progress was a slow process wasn't talking 'bout me. I'm a P.I.M.P. Plus, I got the magic stick." Lotta stürzt mit leuchtendem Zauberstab voran auf den Geisterjäger zu und schlägt ihn damit innerhalb eines Augenaufschlags so steif, daß man Poolbillard mit seinem Queue spielen könnte.

Als sie zur Besinnung kommt, lacht sie die mit Südseeimpressionen bemalten Wände der Häuserschlucht an, und es schallt lachend zurück - zunächst nur ein Hall, doch schon bald mischen sich fremde Stimmen aus den Häusern darunter. Als deren Bewohner von Entenhausen genug hatten, waren sie an die Fenster gekommen, um dem Schauspiel zu folgen. Lotta hat ein echtes Publikum bekommen und ihren Mord mit mysteriös-romantischem Charme zur Kunstdarbietung erhoben. Im Scheinwerferlicht steht, ihr gegenüber, ihr Nachbar und grunzt lüstern. Es stört sie nicht, wie jener mit seinen vulgären Gebärden in ihre zarte Sphäre einbricht, denn sie hat ihn stets als abstraktes Monument gesehen.

"Ich bin jetzt bereit zur Intersexualität! Komm nur, nimm mich hin!" ruft sie ihm zu.

Und als sie ihren anmutigen, lüsternen Körper unter der Ekstase des Fünfbeiners begräbt, lassen die Bewohner ihre Vorhänge über den Liebenden fallen.