MAGICAL GIRL: Von unten grinst der schwarze Lurch

 

Bárbara (Bárbara Lennie) betrinkt sich mit Sailor Moon. Den Schnaps gibt es nicht wirklich, er ist nur eine ebenso beiläufige wie bedeutungsfreie Anspielung an das titelgebende MAGICAL GIRL in einem Film, der wie die spanische Bevölkerung zwischen Rationalität und Emotionalität feststeckt. Daß es jener so ergeht, erklärt zumindest Oliver, bevor er Bárbara den Umschlag mit dem magischen Wort übergibt.

Gut, soweit geht Carlos Vermut (Regie, Drehbuch) mit der Metapher dann doch nicht. Das Wort ist nur ein Wort, und es passiert auch nichts magisches, sondern nur ein wenig SM-Sex zwischen den Schnitten. Doch zurück zum Anfang. Alicia (Lucía Pollán) hat Leukämie und drei Wünsche: Superkräfte, das Kostüm Ihrer Lieblingsanimefigur zu tragen, und 13 Jahre alt zu werden. Ihr alleinerziehender Vater Luis (Luis Bermejo) legt alles daran, ihr den einzigen Wunsch zu erfüllen, der im Rahmen seiner menschlichen Möglichkeiten liegt, doch das Magical Girl Yukiko Kleid ist teuer, zu teuer für ihn. In einer Zufallsbegegnung trifft er auf Bárbara, die gerade dabei war, sich als Maßnahme der Problembewältigung mit eben jenem Sailor Moon und einer Handvoll Schlaftabletten zu betrinken.

In einer gestaffelten Erzählstruktur springt MAGICAL GIRL mehrmals in der Chronologie zurück, um seine drei zentralen Figuren und Ihre Leidensgeschichten einzuführen und schließlich miteinander zu verknüpfen. Nebst Bárbara und Luis ist da noch Damian (José Sacristán), Bárbaras ehemaliger Mathematiklehrer, der offenbar eine schwierige, emotionale Verbindung zu ihr hat und die letzten zehn Jahre im Gefängnis verbracht hat. So wie der Film nacheinander den Fokus wechselt, um seine drei Figuren zu beleuchten, so wechselt auch seine Tonart. Luis' Geschichte zeigt eine Art aufmüpfiger Heiterkeit im Angesicht Alicias tödlicher Krankheit. Bárbara hingegen ist seelisch krank und schafft ein Ambiente der Verzweiflung, welche durch das Zusammentreffen mit Luis auf fatale Weise verstärkt wird. Damian schließlich entlädt stille Wut, welche ebenso wie Bárbaras Seelenunheil ihren tiefsten Ursprung in Ereignissen hat, die nur vage angedeutet und spekulativ bleiben.

In dieser bewußten Auslassung steckt der ultimative Kniff sowie die große Achillesverse des Films. Carlos Vermut zeigt emotional geladene Charaktere und verlangt seinem Publikum die distanzierte, rationale Analyse derselben ab, indem er entscheidende Einblicke in deren Innenleben verwehrt. Luis, welcher in dieser Hinsicht als einziger ganz nachvollziehbar bleibt, wird ironischerweise in eine Antagonistenrolle gedrängt und der Film so eines sympathischen Kerns beraubt.

Anstatt sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, untersucht Vermut also das Hier und Jetzt seiner Charaktere und zeigt sich darin durchaus kompetent. Mit Luis schafft er es, eine aufrichtige Beziehung zwischen Vater und Tochter zu zeichnen, deren besondere Dynamik sich aus besonderen Umständen schöpft und mit geringen Mitteln zu rühren vermag. Das Verhältnis zwischen Bárbara, ihrem Mann und ihrer Umwelt ist schwieriger, offenbar gestört und schafft Neugier auf seine Ursachen. Und Damian, die große Blackbox des Films, bringt sogar Momente aufrechter Spannung in ein insgesamt eher methodisches Drama.

MAGICAL GIRL wird somit trotz seiner ruhigen, kühlen Erzählweise zwar nie langweilig, könnte aber durchaus von einem stärkeren emotionalen Interesse profitieren - das Mysterium um die Hintergründe seiner Charaktere gereicht ihm in dieser Hinsicht nicht zum Vorteil. Bárbara ist die vermeintlich zentrale Figur, an der sich die Handlungsstränge treffen und die das Gros der teilweise merklich langen Laufzeit einnimmt, doch was anhand ihrer Undurchdringbarkeit als auffälligster Filmmoment heraussticht, ist die von einer Art Luxuszuhälter vorgetragene Stierkampf-Allegorie auf die Befindlichkeit der spanischen Gesellschaft - Ratio versus Emo.