Around the World in 14 Films heißt eines der zahlreichen Berliner Filmfestivals, was schon sehr eigenartig ist. Denn warum 14? Wer entscheidet, welche 14 Filme jedes Jahr repräsentativ für die Welt sind? Wie paßt die Welt in 14 Filme? Warum 14, wo es doch in Wahrheit 16 sind, weil einer der Filme als dreiteiliges Epos daherkommt.
Fragen über Fragen, für die Zhangke Jia nichts kann. Sein dreiteiliges Epos MOUNTAINS MAY DEPART paßt, wie es sich gehört, mit 131 Minuten in die Laufzeit einer einzigen Vorstellung.
1999 - Pet Shop Boys sind ganz groß im Tanzverein. Man darf vermuten, daß Jinsheng (Yi Zhang) und Liangzi (Jing Dong Liang) nur dort sind, weil sie beide um die immerlächelnde Tao (Tao Zhao) buhlen. Sie trägt am liebsten einen bunt gestreiften Pullover und eine knallrote Jacke.
Liangzi ist Kohlekumpel, Jinsheng Minenregent. Man ist irgendwie befreundet, aber die Dreiecksbeziehung wackelt. Die Herren drängen Tao nach einer Entscheidung. Das Bildformat ist 1,37:1, nur wenig mehr als die halbe Leinwand. Der Regisseur und Autor wählt seine Bildausschnitte mit Bedacht. Es bleibt viel Zeit, Gesichter zu lesen. Zeit, die sich lohnt, denn den Charakteren und deren Darstellung wohnt ein bezaubernder Realismus inne.
2014 - Tao und Jinsheng sind geschieden, der gemeinsame Sohn in der Sorge des Vaters, weit weg von Tao, die jetzt gedeckte Farben trägt. Allein die Beerdigung ihres Vaters gibt ihr eine seltene Gelegenheit, den Sohn zu sehen. Für einige Tage ist man zusammen, lernt einander kennen. Das Bildformat ist 1,85:1, der Ton emotionsgeladen.
2025 - Australien hat den Waffenbesitz wieder legalisiert, China immer noch nicht den Fleischwolf erfunden. Tablets sind jetzt transparent. Quasi-Protagonistin Tao ist aus der Geschichte verschwunden. Zhangke Jia beantwortet stattdessen die drängende Frage, was denn aus dem kleinen Dollar (Name des Sohnes) geworden ist. Der ist jung erwachsen, aufmüpfig und spricht derart wenig Chinesisch, daß er sich mit dem Vater nur per Google Übersetzung verständigt. Man lebt zwar schon länger in Australien, glaubwürdig ist das aber nicht und wird von Zijian Dong als Dollar auch nicht so vorgetragen. Das Bildformat ist 2,35:1, der Ausschnitt entsprechend gewöhnlich.
Michael Klier sagt ja, MOUNTAINS MAY DEPART sei Jias persönlichster Film. Ob's stimmt? Jia ist einer vieler Regisseure, dessen Werk eigentlich nur von Festivals lebt; der Heimatfilme macht, die man nur im Ausland kennt. In seinem neuesten geht es um die Trennung von der Heimat, den Bruch einer Familie und die Frage, was hätte sein können. Im Hintergrund steht sanfte Kapitalismuskritik; schließlich sind es die Ambitionen eines rastlosen, gierigen Vaters, welche die Familie spalten.
Es gibt also wieder einmal viel zu lernen von Herrn Jia, über sich und Land und Leute. Davon sollte auch ein etwas holpriger dritter Akt nicht zu sehr ablenken, der bestenfalls von der Schwierigkeit zeugt, Akteure in einer fremden Sprache zu dirigieren. Alles andere ist solide Filmkunst, die Interesse an der Gewöhnlichkeit von Menschen schafft. Denn eigentlich geht es nicht um viel.
Das Wechseln des Bildformats mag nicht allein dank The Grand Budapest Hotel ein ausgelutschtes Gimmick sein, ist hier aber zumindest insofern zweckdienlich, als daß die steigende Pracht der Formate mit einem Lebensstandard konnotiert ist, der sich in den Bildern auch wiederfindet. Das Glück in den Gesichtern freilich bewegt sich proportional in die entgegengesetzte Richtung, bis es vollständig verloren scheint. Ganz großes Kinoeinmaleins, wirklich.
Go West tönt es zum Schluß noch einmal aus den Lautsprechern, als Tao sich fröhlicherer Zeiten besinnt. Together ist man dabei allerdings nicht mehr.