THEEB: Dem Nomad ist nichts zu fad

 

In Wahrheit Wahrheit liefen beim diesjährigen 14 Films Around the World ja nicht nur 16, sondern 22 Streifen, weil man sich großzügig willkürlich aus den Haaren gesogene Sonderkategorien gönnt, um das ganze Konzept der 14 bis zur Bedeutungslosigkeit aufzublähen. Und das, wo doch ohnehin schon zuwenig Zeit ist. Zeit, sich faul zurückzulehnen und andere die "Kritik" "schreiben" zu "lassen". Eine Gaudi, wie sie der Block noch nicht erlebt hat!

Theeb (Jacir Eid Al-Hwietat) ist der Sohn eines Scheichs. Wer sich jetzt einen goldbehangenen Turbanträger vorstellt, dessen Harem ihn vergnügt mit Weintrauben füttert, erliegt einem Trugschluß. Oder vielleicht einer Fata Morgana. Denn THEEB, der Film, spielt in der Wüste, der Junge Theeb gehört einem Nomadenstamm an und spielt im Sand, fern ab von Reichtümern und Palästen. Der Film wurde zusammen mit Mitgliedern eines der letzten jordanischen Beduinenstämme erdacht und gedreht und zeigt eine Lebensweise, die dem Vormarsch der industriellen Zivilisation nicht standhalten kann.

Heute gibt es in Jordanien keine nomadischen Beduinen mehr. Die Handlung spielt während der Zeit des ersten Weltkriegs, dem blutigen Urknall der modernen Weltordnung. Daß die Handlung letztendlich vom Konflikt des osmanischen Reichs mit europäischen Großmächten angetrieben wird, ist aber eher nebensächlich. Wie schnell man die Zeitperiode erahnt, ohne vorher eine Filmbeschreibung gelesen zu haben, hängt vom individuellen historischen Bildungspegel ab. Die Handlung ist überschaubar und lebt vom Zusammenspiel nur einer Handvoll von Figuren.

Theeb (der Junge) lebt also ein einfaches Leben zwischen Zelten und Kamelen. Er wird von seinem erwachsenen Bruder Hussein (Hussein Salameh Al-Sweilhiyeen) erzogen, der normalerweise Pilger begleitet und sie durch die Wüste und zu den dort verstreuten Wasserlöchern führt. Diesmal allerdings soll er einen Briten (Jack Fox) auf einer nicht näher erläuterten Mission begleiten. Als die beiden mitsamt einem weiteren Führer und Dolmetscher aufbrechen, folgt Theeb seinem Bruder. Dieser weigert sich, das Balg alleine zurückzuschicken, und so wird es im Kindersitz auf dem Kamelrumpf platziert und begleitet die Gruppe fortan.

Der arabische Film spielt im westlichen Mainstream noch keine Rolle. THEEB könnte dabei eine ideale Einstiegsdroge darstellen. Zwar ist die beduinische Lebensweise eines der Herzstücke der Geschichte, die Handlung an sich aber ist eher eine virtuose Hommage an bestehende Genres. Besonders fühlt man sich an den Western erinnert, speziell an die Klassiker Sergio Leones. Die Modernisierung eines von uralten Traditionen geprägten Landes, angeführt von der Eisenbahn als universelles Symbol des unaufhaltsamen Fortschritts. Einsame Reiter in einer Wüste, geführt von einem Ureinwohner, mit Revolvern und Flinten bewaffnet, um sich gegen Banditen zu schützen. Wenn die Schußwaffen dann unweigerlich zum Einsatz kommen, zeigt Neu-Regisseur Naji Abu Nowar Hollywood mal eben den Vogel, indem er mit gekonnten Schnitten und Einstellungen eine klaustrophobe und angsterfüllte Szene schafft, die spannender ist als so ziemlich jedes CGI-Feuerwerk mit einem größeren Budget als Nowars gesamter Film.

Daß es generell nicht viel auszusetzen gibt an Theeb ist ein großes Lob an den jungen Regisseur. Kinder als Protagonisten scheinen außerhalb Hollywoods in der Regel besser zu funktionieren. Vielleicht weil die Schauspieler, um mal ganz frei und arrogant zu verallgemeinern, selber mehr mit Elend und Unsicherheit vertraut sind, als der durchschnittliche minderjährige Hollywood-Star? Mit Al-Hwietats Theeb fühlt man jedenfalls zu jeder Zeit mit, ob im kindlichen Überschwang, als stummer Begleiter der eigentlichen Akteure, oder dann, wenn er gezwungen ist, seine eigenen Entscheidungen zu treffen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Theeb ist ein empfehlenswerter Film. Weil er aus Jordanien kommt. Weil er spannend ist. Weil er ein unfamiliäres Setting mit gekonntem Filmhandwerk kombiniert. Und vielleicht, nur vielleicht, weil Nowar das Zeug zu einem großen Regisseur hat und man jetzt die Gelegenheit hat, dabeigewesen zu sein, bevor er cool ist.