LAO SHI: Der Stein rollt, bis er bricht

 

Jemand wird vom LKW überfahren, des Nachts auf einer Landstraße. Der Mann ist schwer verlezt, lebt noch, doch der Fahrer beschließt, nachzusetzen und den Mann zu töten. Später gesteht er der Polizei, daß ein überlebendes Unfallopfer ihm jede Menge Schwierigkeiten gemacht hätte, ein totes Opfer sehr viel einfacher zu handhaben war.

So oder so ähnlich lautet die kleine Nachrichtenmeldung, welche die Inspiration für Johnny Mas Spielfilmdebüt stellt. In ihm fährt Lao Shi ein Taxi, hat seinen Unfall inmitten der Stadt und tut das menschlich Richtige, indem er sein Unfallopfer sogleich ins Krankenhaus fährt. Das hätte er freilich nicht tun dürfen: Die Versicherungsgesellschaft des Taxiunternehmens verweigert den Schadensersatz, da sich Lao Shi nicht ans Protokoll gehalten und am Unfallort abgewartet hat. Weil er handelte, liegt das Opfer nun im Koma, anstatt tot zu sein, und Lao Shi wird von dessen Familie zur Zahlung der Krankenhauskosten genötigt. Könnte sich genau so auch in den USA abspielen, ist aber China.

Dennoch: Der Film soll nicht politisch sein. Politik im Film ist ja auch nicht gern gesehen in China, es sei denn man gibt sich systemaffirmativ. Und so nimmt LAO SHI, der als Drama um seine geduldige Titelfigur beginnt, in der späteren Hälfte eine Abzweigung in dunklere Genregefilde. Ein betrunkener Fahrgast hat zuerst Lao Shis Taxi und dann sein Leben aus der Bahn geworfen, und erst als der Gepeinigte endlich selbst zur Flasche greift, ändert sich sein Umgang mit der Situation zum Radikalen.

Die Spaltung im Film ist beabsichtigt, wird schon im Programmheft angekündigt und vom Regisseur nochmals bestätigt. LAO SHI ist zeitlich knapp, viel Raum für einen sanften Übergang bleibt nicht. Es geht schnell schnell, die Ereignisse müssen abgearbeitet werden. In tragisch-komischen Spitzen entstehen Momente wunderbar gequälten Humors, als Füllsel dienen Aufnahmen des Waldes, wo einst Tiger & Dragon gedreht wurde. Dazu läuft ein Impro-Soundtrack. Stilistisch stochert man zuweilen auch ein wenig wahllos umher, und die Weltpremiere auf der viel zu großen IMAX Leinwand bringt im Bild das Korn nach vorn.

Entscheidend ist aber, daß Johnny Ma es schafft, seine Geschichte funktional zu machen, indem er sie ganz an seiner Hauptfigur ausrichtet, der wir auf Schritt und Tritt folgen. Lao Shis Schicksal will die klassische Frage »Was würdest DU tun?« stellen, ohne aufdringlich damit zu sein. Es steht ja nur die Seele auf dem Spiel.