Nebel liegt über den Dörfern, wilde Tiere bevölkern verlassene Betonruinen. Harte Linien aus Straßen, Brücken, Mauern zerschneiden das entsättigte Bild. Ihnen entlang bewegen sich die Akteure in Bouli Lanners' genreübergreifender Elegie um den Wert des Lebens. Der Drehort südlich von Paris wirkt weit abgeschlagen, nicht zuordnungsfähig, wie von einem unentdeckten Kontinent.
Willy (David Murgia) und Esther (Aurore Broutin), ein vom televisionär angekündigten Weltuntergang aufgeschrecktes Pärchen, pilgern durch diese nordfranzösische Landschaft, die durch Jean-Paul de Zaetijds Kameraarbeit eine entrückte, träumerische Note erhält. Ihr Ziel bleibt lange unklar, doch sicher ist, daß sie nicht Teilnehmer des normalen gesellschaftlichen Lebens sind. Sie übernachten unter Brücken und in Containern, klauen, um sich zu ernähren. Ebenfalls hier unterwegs sind der leicht suspekte Tagelöhner Cochise (Albert Dupontel) und sein Sidekick Gilou (Bouli Lanners selbst), auf der Suche nach dem gestohlenen Mobiltelefon ihres Auftraggebers. Klar, daß sich aller Wege dereinst kreuzen werden. Vervollständigt wird das Figurenensemble von einer Selbstjustiz übenden Lageristen-Gang, einem altersschwachen Hotelier, einer buchstäblichen MILF, sowie Jesus selbst.
Es gibt viel bemerkenswertes an LES PREMIERS, LES DERNIERS. Die wunderbare Fotografie und allgemein hohen Prdouktionswerte sind nur der glanzvolle Finish. Darunter steht ein starkes Gerüst aus Drehbuch und darstellerischer Leistung, das positiv an strukturell vergleichbare Werke der Coen Brothers et al. erinnert. In seiner breiten Besetzung ergänzen sich mehrere zentrale Darbietungen, anstatt miteinander zu konkurrieren. Die Erzählstränge laufen eine Weile parallel, kreuzen sich dann, verzwirbeln sich zu Knoten, um sich schließlich auf überraschende und zutiefst befriedigende Weise wieder aufzulösen. Momente des Ahas kommen nicht zu kurz in diesem behutsam konstruierten, vollreifen Skript und sind mit solchen aus Humor, Gewalt und einfühlsamer Introspektion in bester Gesellschaft. Potpourri nennt man das wohl, weil Frankreich.
Wo genau sich das Geschehen zuträgt, bleibt indes bewußt unerwähnt. Auffällig amerikanisch wirken allerdings viele der Versatzstücke: Die Architektur eines Diners, eines Landhauses, eine einsame Tankstelle inmitten scheinbar endloser Landstraßen - lauter Dinge, die es in Frankreich natürlich wirklich gibt, aber gemeinhin im Film nicht so betont inszeniert werden. Untypischer ist da schon die Tatsache, daß jeder zweite eine Schusswaffe besitzt.
Teils Roadmovie, teils Western, teils schwarze Komödie mit einer guten Portion charakterbetriebenem Drama - ungemein entscheidend dafür, daß alles so perfekt ineinandergreift, ist Timing, mehr noch als sonst. Lanners, der hauptberuflich ja Schauspieler ist, weiß genau, wieviel Zeit er seinen Episoden, Dialogen und Augenblicken der Andacht einzuräumen hat. Die Schlüsselrolle im emotionalen Kern des Films übernimmt er selbst: sein Gilou, geplagt von Herzproblemen, entkoppelt sich für eine Weile vom narrativen Fluß, um den eigenen Tod zu reflektieren und sich seines Standes in der Welt wieder bewußt zu werden. So surreal die Wirklichkeit von LES PREMIERS, LES DERNIERS zuweilen anmutet, so real, nachvollziehbar und empathisch sind die Menschen, die sie bewohnen.