Es war ihnen sehr wichtig, diese Geschichte zu erzählen, sagen Sergio Andrade und Fábio Baldot, das Regisseur-Duo aus Brasilien. Moment mal!? Welche Geschichte? Die des jungen Anderson (Anderson Tikuna), eines Eingeborenen des Amazonas, der in der Zivilisation jeden Job annimmt, zweierlei Namen trägt und mit jedem/zwei Geschlechtern verkehrt? Oder die seines rückständigen, von der weißen Gesellschaft zurückgedrängten Stammes, der sich zu Andersons Leidwesen abergläubischen Ritualen hingibt? Welche Geschichte es auch sei, sie fällt ein wenig mager aus, ganz im Gegensatz zur wohlgenährten Hauptfigur.
»Anderson« ist der selbstgewählte »weiße« Name des Protagonisten, dessen Schlüsselszene ein kurzer, trockener Amtsbesuch mit dem Ziel der Einbürgerung ist - entfremdet von seinem Stamm, der ihn zu seltsamen körperlichen Prüfungen nötigt, um seine Seele zu befreien oder so ähnlich, will Anderson lieber an einer brasilianischen Gesellschaft teilhaben, die sich auf den Konsum ausgerichtet hat - arbeiten gehen, Fabrik, Friseur, iPhone fummeln, freie Liebe. Glücklich wirkt er nicht in diesem Leben, doch was das Glück mehr noch zurückhalten scheint, sind seine indigenen Wurzeln. So stolpert er zwischen den Welten umher, um sich selbst zu finden.
TIME WAS ENDLESS (Antes o tempo não acabava) verhält sich auf diesem Weg mehr beobachtend als dramatisierend, bringt aber gleichzeitig die Differenz zwischen beiden Welten in Stil und Form zu Tage: Die Machenschaften des Vaters, des Stammeshäuptlings und der Anderen in seiner Situation sind nüchtern, beinahe dokumentarisch in ihrer Darstellung, wogegen Andersons Begegnungen mit Arbeitskollegen oder Clubbesuchern einer stärkeren narrativen Struktur folgen. Sein träumerisches Innenleben wiederum wird gestützt von Pop, Punk und Elektro und verrät so, wohin das Herz sich lehnt.
Im Ergebnis ist die zweischneidige erzählerische Form für ihre thematische Folgerichtigkeit mehr intellektuell zu würdigen, als daß sie emotional involviert und eine spürbare Verbindung zu ihrer zentralen Figur aufbaut. Spürbar macht der Film hingegen Längen, die bei seiner knappen Laufzeit von 85 Minuten besonders unwillkommen sind und dem Ende eine besondere Abruptheit verleihen, wenn spät aufkommende erzählerische Fäden jäh abgeschnitten werden.
Wann immer Filmschaffende ihr Augenmerk auf die gemeinhin vergessenen Völker der Erde richten, ist der übliche Tenor einer des Bedauerns, über das Aussterben antiker Lebensweisen, die von einer unaufhaltsamen, global fortschreitenden industriellen Kulturhegemonie verschluckt werden. Was war Andrade und Baldot an dieser speziellen Geschichte wichtig? Denn gewollt oder nicht, TIME WAS ENDLESS zeichnet ein andersartiges Bild. In der direkten Gegenüberstellung zur Hochkultur schneidet das Stammeswesen nicht gut ab, und Anderson erntet volles Verständnis für den Rückzug aus dem echten Dschungel, hinein in den aus Stein und Beton.