ALOYS: Zweinsam

 

Adorn. Aloys Adorn. Der vielleicht Mittvierziger, Schweizer und Privatdetektiv (Georg Friedrich) nennt sich lieber beim Nachnamen. Das verbindet ihn mit seinem eben verstorbenen Vater und Seniorpartner in der Detektei, ebenso wie die erste Person Plural, in der wir sprechen, wenn man nicht gleich ganz unpersönlich »man« sagt. Zwischenmenschlich scheint außerhalb der beruflichen Familienbeziehung nicht viel gelaufen zu sein. Ist die Expertise in der verdeckten Videobeobachtung da Symptom oder Ursache? Tagsüber schaut man die Aufnahmen beruflich, abends als Hobby. Wir haben so ein bissel Sozialschaden.

Die einzige Bezugsperson ist also dahin, und Aloys ist noch einsamer als sonst, schottet sich gar aktiv gegen jede äußere Zuwendung ab, trinkt viel Alkohol, pennt besoffen im Bus ein und erwacht zu leerem Rucksack, in welchem sich nun eine Reihe frisch gestohlener Überwachungsbänder nicht mehr befinden. Kurz darauf folgen Anrufe der unbekannten Diebin, die offen mockiert, denunziert und zu seltsamem Psychoquatsch am Telefon verführt. Wir verfallen in Panik, aber wenigstens mal was los. ALOYS beginnt.

Was bis hierhin nach Thriller klingen mag, beginnt tonal als schwarzkomische Charakterstudie und entpuppt sich als visuell wie dramaturgisch überaus originelles Katz und Kater Spiel, wenn sich die Frau aus der Leitung als ebenso gebrochene Person herausstellt, die mit Herrn Adorn eine betörend rätselhafte Telefonbeziehung eingeht. Zwei gänzlich in ihren Lebenssituationen gefangene Außenseiter imaginieren darin Welten, wie sie nur im Film so perfekt transportiert werden können. Dabei hilft eine vollendet veredelte Spitzenfotografie, die jedes noch so trübe Interieur mit schaurig schönen Lichthöfen flutet.

Die anfängliche Komik des Verschrobenen weicht der Melancholie, die Platz macht für Spannung, Trauer und wahre Freude, vor allem darüber, was für ein faszinierendes, stimmiges und frisches Erstlingswerk Tobias Nölle hier so unverfroren aus dem Hut gezaubert hat. Die Stärke eines Drehbuchs und seiner Inszenierung läßt sich am Gefühl messen; jenem, das man seinen Hauptfiguren entgegenbringt, selbst wenn diese im Grunde ihres Wesens so unzugänglich sind wie in ALOYS. Mit zwei Personen, die sich beinahe nicht begegnen, erweckt Nölle den Eindruck, das Portrait eines ganzen Gesellschaftszweigs zu zeichnen, während er in Telefonaten unausgesprochene Gefühlswelten offenlegt. Zu sehen gibt es dabei eine klug ineinandergeschnittene, fortschreitende Vermengung von klaustrophobischen Wohnräumen und schillernden Tagträumen, die ganz dem Kopf des Protagonisten entspringt und bald zur vorherrschenden filmischen Wirklichkeit wird.

Es ist eine glückliche Welt, bunt und voll Musik, in die unser Aloys sich flüchtet, und wir folgen ihm bereitwillig. Bis Nölle unmißverständlich daran erinnert, daß alles nur Theater ist und uns die dramatischen Folgen unseres Realitätsverlusts wieder bewußt macht. Aus Fantasie wird Schizophrenie, und die Frage, ob auch Aloys noch ins Leben zurückfindet, offenbart sich als der wahre Thriller.