LAO SHI: Der Stein rollt, bis er bricht

 

Jemand wird vom LKW überfahren, des Nachts auf einer Landstraße. Der Mann ist schwer verlezt, lebt noch, doch der Fahrer beschließt, nachzusetzen und den Mann zu töten. Später gesteht er der Polizei, daß ein überlebendes Unfallopfer ihm jede Menge Schwierigkeiten gemacht hätte, ein totes Opfer sehr viel einfacher zu handhaben war.

So oder so ähnlich lautet die kleine Nachrichtenmeldung, welche die Inspiration für Johnny Mas Spielfilmdebüt stellt. In ihm fährt Lao Shi ein Taxi, hat seinen Unfall inmitten der Stadt und tut das menschlich Richtige, indem er sein Unfallopfer sogleich ins Krankenhaus fährt. Das hätte er freilich nicht tun dürfen: Die Versicherungsgesellschaft des Taxiunternehmens verweigert den Schadensersatz, da sich Lao Shi nicht ans Protokoll gehalten und am Unfallort abgewartet hat. Weil er handelte, liegt das Opfer nun im Koma, anstatt tot zu sein, und Lao Shi wird von dessen Familie zur Zahlung der Krankenhauskosten genötigt. Könnte sich genau so auch in den USA abspielen, ist aber China.

Dennoch: Der Film soll nicht politisch sein. Politik im Film ist ja auch nicht gern gesehen in China, es sei denn man gibt sich systemaffirmativ. Und so nimmt LAO SHI, der als Drama um seine geduldige Titelfigur beginnt, in der späteren Hälfte eine Abzweigung in dunklere Genregefilde. Ein betrunkener Fahrgast hat zuerst Lao Shis Taxi und dann sein Leben aus der Bahn geworfen, und erst als der Gepeinigte endlich selbst zur Flasche greift, ändert sich sein Umgang mit der Situation zum Radikalen.

Die Spaltung im Film ist beabsichtigt, wird schon im Programmheft angekündigt und vom Regisseur nochmals bestätigt. LAO SHI ist zeitlich knapp, viel Raum für einen sanften Übergang bleibt nicht. Es geht schnell schnell, die Ereignisse müssen abgearbeitet werden. In tragisch-komischen Spitzen entstehen Momente wunderbar gequälten Humors, als Füllsel dienen Aufnahmen des Waldes, wo einst Tiger & Dragon gedreht wurde. Dazu läuft ein Impro-Soundtrack. Stilistisch stochert man zuweilen auch ein wenig wahllos umher, und die Weltpremiere auf der viel zu großen IMAX Leinwand bringt im Bild das Korn nach vorn.

Entscheidend ist aber, daß Johnny Ma es schafft, seine Geschichte funktional zu machen, indem er sie ganz an seiner Hauptfigur ausrichtet, der wir auf Schritt und Tritt folgen. Lao Shis Schicksal will die klassische Frage »Was würdest DU tun?« stellen, ohne aufdringlich damit zu sein. Es steht ja nur die Seele auf dem Spiel.

Kamasutra – Im Angesicht des großen Buddha

 

Ein Reisebericht durch Japan, das Land der Japaner

Ich begann meine Reise an der malerischen Sagami-Bucht, nur eine Zugstunde von Tokyo, dem Herzen und einzigen Stolz des Landes entfernt. Hier waren zwischen 1192 und 1333 einige der mächtigsten Wesen der japanischen Geschichte angesiedelt, in der Eingeborenensprache nur Minamoto genannt. Zuerst fiel mir das eigenwillige Toilettenpapier auf der Museumsinsel Atami auf, welche die Bucht Sagami nonchalant umwindet. Auch ich machte zunächst den typischen Fehler, das handgeschöpfte Reispapier in den für östliche Verhältnisse doch erstaunlich fortschrittlichen Wasserklosetts als neckisches Selbsterfahrungsexponat zu begreifen, doch wie ich später herausfinden sollte, war chlorfrei gebleichter Zellstoff in Japan bis zu meiner Ankunft tatsächlich unbekannt gewesen.

Erschöpft von diesem zwar anstrengenden, doch auch sehr aufschlußreichen Tag, kehrte ich abends in eines der berühmten japanischen Teehäuser ein, vermied aber die typischerweise für den Tourismus auf elterliche Pseudoauthentizität getrimmten Etablissements und wählte eine versteckt gelegene Großkantine in jenem schummrigen Neonlicht, welches die rasende und doch sehr junge Kulturentwicklung des wirtschaftlichen Emporkömmlings Gesamtasien sehr viel trefflicher beizubringen vermochte.

Trotz meines Hungers, der dem Hunger der an jeder Straßenecke anzutreffenden buddhistischen Bettelmönche in nichts nachstand, nahm ich mir Zeit, um eine Auswahl aus den vielseitigen, aber stets raffinierten Köstlichkeiten der fernöstlichen Küche zu treffen. Ich entschied mich für Surimi und Chop Suey, welches übrigens direkt von unserem Zigeunerschnitzel abgeguckt ist.

Freilich kann dieser Bericht kaum ohne eine Beschreibung meiner nächtlichen Ruhestätte auskommen, schließlich sind die japanischen Unterkünfte für den müden Reisenden zu Recht in aller Welt bekannt. Hotel ist ein Wort, das im Japanischen quasi gleichbedeutend ist mit Bordell. Ich ließ mich in Kenchou-ji nieder, einem Tempel einer kleinen lokalen Kette, und wurde von einer der Haushostessen hofiert, die dort Kabuki heißen, während diese ihr Englisch an mir ausprobierte. Ich ließ sie gewähren vor dem Hintergrund, daß Japaner offensichtlich über keinen Benehmenskonsens verfügen. Gelangweilt schlief ich in meiner Shogun-Schublade ein.

Wenige Tage später befand ich mich auf der Zugreise durch Japans ewige Häuserschluchten, um die Ausläufer des täglich um drei Millionen Pendler wachsenden Ballungsraums Tokyo an der hokkaidischen Südküste zu besichtigen. Ich fuhr bewußt zur Rush Hour, um die typisch vollgestopften Züge mit all den anderen Touristen einmal zu erleben. Völlig durchgeschwitzt und in meiner Körperhaltung erstarrt, ließ ich mich am Ende der Fahrt zunächst einmal auf einer der beliebten Geishas, gezogen von einem wenig überzeugend verkleideten Japaner, in eines der vielen Badehäuser kutschieren, die ca. 50% der Infrastruktur des Landes ausmachen. Da alle Badehäuser in Japan Unisex-Nacktbadehäuser sind, hatte ich als aufgeklärter Europäer zunächst natürlich Schwierigkeiten, zu voller Entspannung zu gelangen. Doch um dem Credo meiner Weltreisen gerecht zu werden und mich voll und ganz in die Landesbräuche einzufügen, begann ich, im Schutz des Wassers Mädchen zwischen die Beine zu gucken und dabei frenetisch zu kichern. Dies lockerte die Situation für mich schnell auf, da ich merkte, wie meine Akzeptanz in der Badegruppe wuchs.

Leider mußte ich danach aber auch schon abreisen, da ich mir beim Herunterbeugen auf Schritthöhe der ohnehin winzigen Japaner alle Knochen verstaucht hatte und die medizinische Versorgung da ja bekanntlich noch nicht so weit ist. Trotzdem freue ich mich schon auf den nächsten Besuch in diesem tollen Land, auch wenn die Menschen eher so naja sind.

Dieser Text ist ALT. Er erschien zuletzt im Lifestyle-Magazin remède de cheval.

Michael Birch et al.: SUPER CARTOGRAPHY BROS.

 

Es begab sich im Jahre 2003, daß in der Videospiel-Remix-Community OverClocked ReMix, damals vier Jahre jung, ein neuer Trend ans Licht der Welt trat. Auf der Webseite, die bis dahin eine reine Sammlung vereinzelter Remixe war, wurde das Album Relics of the Chozo veröffentlicht, das sich ganz dem SNES-Klassiker Super Metroid widmete. Das war nicht nur eine vorzügliche Wahl des musikalischen Quellmaterials, sondern funktionierte auch als Album hervorragend. Die Tatsache, daß es sich zum Großteil um das Projekt eines einzigen Remixers (Ari Asulin alias Protricity) mit vereinzelten Gastbeiträgen handelte, sorgte für einen klaren stilistischen Rahmen und eine gewisse dramaturgische Stringenz.

Seither sind etliche weitere Alben bei OCRemix erschienen, meist einem einzigen Spiel oder einer Spieleserie gewidmet. Diese sind in der Größe rasch gewachsen, umfassen oft die Spielzeit mehrerer CDs und das Wirken dutzender Remixer. Was vielen dabei fehlt, ist aber eben der stilistische Rahmen, der Relics of the Chozo so überzeugend machte. Freilich sind immer wieder tolle individuelle Titel dabei herumgekommen, doch sind viele der OCRemix Alben nicht mehr als lose Liedsammlungen - Mikrokosmen innerhalb der Community, die sich vom Gesamtkonzept abgesehen von der Filterung nach einem Thema nicht abheben und die Genres kunterbunt vermischen, wie eben OCRemix selbst.

Die Mischer des im vergangenen November erschienenen Albums SUPER CARTOGRAPHY BROS. müssen sich diese Nörgelei nicht bieten lassen, denn sie wissen, was sie tun. Die Beatz sind fett, der Klempner heißt Mario. Spezialisiert hat man sich auf die Oberweltmusiken verschiedener Super Mario Spiele, die Arrangements gehören in die Disse - »world (map) music to dance to«. Das Album, gratis zum Download wie alle OCRemix-Alben, liegt gleich dreimal vor - als Radio Edit, Club Edit und als fortlaufender DJ Mix, der angesichts des Genres die konsequenteste, überzeugendste und spaßigste Version für die Hausparty darstellt.

Nun hat natürlich niemand auf Super Mario gewartet, um einen Grund zum Dancen zu haben, und der Wiedererkennungswert der gewählten Stücke beim gemeinen Pöbel ist fragwürdig - es ist nicht gerade Welt 1-1. Ausgesprochen klug verwoben sind jedoch zahlreiche semi-ikonische Samples aus den Spielen, wie der berühmte Münzen-Toneffekt, Yoshis Aufsattelgeräusch oder It’s-A-Me. Im so betitelten Opener von Funk Fiction wird adäquat der Ton der Scheibe vorgegeben: So kann es weitergehen. Der Titel ist ein starkes Glanzlicht, reich an genannten Tonschnipseln und macht im DJ Mix klugerweise nicht den Anfang. Später kommen dann die ganzen üblichen EDM-Subgenres, die man heute auf so einem Album erwarten würde und deren Auflistung aus Gründen des Müßiggangs hier leider entfallen muß. Erwähnt sei sicherheitshalber nur, daß auch ein stilistisch konsistentes Album noch genug Abwechslung bieten kann, um nie langweilig zu werden.

Man muß kein elender Nerd sein, um an SUPER CARTOGRAPHY BROS. Gefallen zu finden, sondern nur ein Freund elektronischer Tanzmusik. Vertrautheit mit den Tunes ist keinesfalls Vorraussetzung, sondern ein Bonus für Sachkundige. Und so schafft es ein digital-only, gratis Videospielremixalbum in die unumstößliche, maximal objektive Top X der besten Alben des vergangenen Jahres. Bling!

PUBLIC SERVICE BROADCASTING - The race for space

 

Durchbrechen wir die Achse des Bösen (Deutschland - Japan) und wenden uns wieder dem Land zu, aus dem alle populäre Musik kommt: Eng. Nein, nicht Briten. Engländer allein sind für 99% aller relevanten Musik verantwortlich: Beatles, Rolling Stones und PUBLIC SERVICE BROADCASTING.

Durchbrechen wir das Netz der Lüge (obiger Absatz) und wenden uns den Fakten zu. PUBLIC SERVICE BROADCASTING sind eine semipopuläre Aufsteigerband, die letztes Jahr ihr zweites Album veröffentlichten und deren musikalisches Schaffen vollständig auf einer einzigen, zentralen Idee basiert: Man stöbere nach wohlklingenden Zeitdokumenten in Form von Film- und Fernsehaufnahmen mit der unverkennbaren Intonation ideologisch gefärbter Sprecherstimmen aus einer Zeit, als der Empfang bewegter Bilder durch die Luft noch eine Welt der Wunder bedeutete. Und dann, wenn man sie findet, spart man sich den Gesang und bastelt einfach jene Musik um das Gefundene, die man ohnehin schon immer machen wollte.

Jede Scheibe bekommt dazu ein Thema verliehen, das zweifellos mehr Schmuckwerk als Nachricht ist. Dennoch; es hält die Sache beisammen und bietet dem Zuhörer Gelegenheit, die Gedanken nicht einfach nur gleiten, sondern moderieren zu lassen. Das Thema des diesmaligen Aufsatzes ist klar und steht im Titel. Als Stichworte hört man darin so Dinge wie Apollo, Houston und Mission Control. Liedtitel sind Sputnik und Gagarin. Die Russen hier also klare Sieger, genau wie in echt.

Schmuckwerk hin oder her, der thematische Überbau ist willkommen. Plötzlich bedeutet das alles etwas. Helfen würde es natürlich nichts, wenn die Musik dazu nicht der Knaller wäre, wie z.B. bei Grunzmetal der Fall. Glücklicherweise aber ist Grunzen durch die Verwendung von Samples ja bereits ausgeschlossen, und die Musik selbst ist auch recht divers, nur metallen eben nicht. Was genau gerade läuft, ist aber glücklicherweise nicht genußentscheidend. Denn PSB schaffen es, daß alles ineinandergreift und die Genrewechsel dank der Konstruktion als Soundtrack zum Sprachschnipsel auch dramaturgisch nachvollziehbar sind. Die bunte Mischung beinhaltet Rocktypen wie psycheledic und space, ein bissel Folk, natürlich viel Elektrik wie heute üblich, aber auch bewußt alternde Bigband-Klänge aus Blechbläsern hie und da - also doch Metall. Manche Instrumente werden gar gezupft wie ein russischer Kuchen. Thema Russland. Der Bogen ist geschlagen wie die Amis im Race for Space.

POLLYESTER - City of O.

 

Nachdem alternder deutscher Mainstream die Top 10 2015 dominierte und man sich hier aufm Block mit sonstigen Musikempfehlungen als unerträglicher Weeaboo bloßstellte, ist es nun Zeit für etwas völlig anderes: Die Münchner Möchtegernavantgarde »POLLYester«, in Blockscher Kapitalisierung einfach POLLYESTER genannt, deren selbstbetiteltes Debütalbum aus unbekanntem Grunde - fehlender Recherche sei Dank - nur auf einem japanischen Label veröffentlich wurde. Dieses düstere Kapitel der Bandgeschichte liegt aber zum Glück schon ewig zurück (2007), so daß man heute stramm mit beiden Beinen auf heimischem Boden steht, das Japsen ein Ende hat und es das dritte und neueste Album City of O. auf hartem deutschem Vinyl zu erstehen gibt.

Ansonsten hat sich gar nicht so viel getan, man geht immer noch demselben Fake Retro Indie Disco Sound nach wie ehemals und jemals, stetig im Vier-Jahres-Takt. Nicht-Polin Polina bemüht sich redlich, um die richtige Viertelnote daneben zu liegen, Bandmitglieder Beni und Benni schrauben an der Synthetik, und der Manu macht das Metronom. Das alles mit dem Ergebnis einer etwas glatteren, saubereren Produktion als zuvor. Das Alter glättet die Kanten wie Wasser den Stein. Obschon die Ästhetik des gewollt Verschrobenen noch hindurchschimmert, kann das hier Dargebotene auf jeder Party zwischendurch mal vier Minuten laufen, ohne daß der DJ sich vor Wurfobst (Tomaten, Eier) wegducken muß, das ja jeder Fetenteilnehmer sicherheitshalber immer dabei hat.

Es ist diese Welt der Karrikatur, in der POLLYESTER zuhause sind, ist der Humor auch nicht mehr so stark wie einst. Schenkelklopfer wie Erectric Guitar oder Beuys Boys finden sich nicht auf Album Nr. 3, dafür Jalousie. Das ist kein künstlerischer Dekonstruktivismus, sondern kleinbürgerliche Handwerkelei. Woher der Ruck im Statut kommt, wo die Truppe doch kommerziell nichts an Bedeutungslosigkeit eingebüßt hat, ist eine Frage für die Fantasie. Es sei denn, wir tun POLLYESTER unrecht und mit dem Titel Jalousie ist die Jalousie von O. gemeint. Dann sind sie natürlich genial wie immer.

Wie dem auch sei, in einem Jahr, das uns so viele tolle dritte, vierte, fünfte und sechste Alben beschur, ist City of O. bestenfalls eines der besten. Unbedingt zweimal kaufen und in Stereo hören.

SUIYOUBI NO CAMPANELLA - Zipang

 

Für Bands, die hier um den Block rum das Ghetto blasten, war das vergangene Jahr ein gutes. Unter denen, die auf einen Schwenk vorbeischauten, waren Babymetal, God is an Astronaut, Jaga Jazzist, RiversideMaserati und natürlich viele andere, für die dann doch keine Zeit war. Gern gesehen hätte man dennoch ein paar mehr, z.B. SUIYOUBI NO CAMPANELLA (水曜日のカンパネラ), fürderhin SNC genannt. Die waren sich aber zu fein, zu beschäftigt oder geben einfach nur zu Recht einen heißen Brei auf ein Land, wo sie keiner kennt oder jemals schätzen wird. Genau das richtige Material für den Block also, um mit dem Kopf in die Wand zu rennen und sich an der Müßigkeit einer Musikkritik zu versuchen.

Zunächst ein paar Zahlen und Fakten: SNC haben 2015 ihr fünftes (Mini-)Album in drei Jahren plus eine EP veröffentlicht. Das macht 13 neue Titel, wovon neun, in Zahlen 9, ein eigenes Musikvideos erhalten haben. Man war also emsig. 2015 war auch das Jahr des marktstrategischen Durchbruchs - die Gruppe begann, populär zu werden. Cool und exklusiv sein ist für Neuhörer also nicht mehr drin.

Halb so schlimm: Zipang (ジパング) ist mit der Klarheit absoluter Objektivität das bislang beste Album, denn es beinhaltet zehn Titel, während auf bisherigen Scheiben nach maximal neun die Sache grade war. Aber auch musikalisch überzeugt das Duo/Trio/Weißmannichtgenau mit einer Fortsetzung seines etablierten Frarafrasi, in welchem dieselbe Frau namens Koumai (コムアイ) für Rap und Gesang zuständig ist und als einziges Gesicht der Formation auch leicht für eine Solokünstlerin gehalten werden kann. Alt am Sound in Bezug auf die kurze Bandgeschichte ist die luftige Mischung aus glitch-infundiertem Electronica, Hip Hop, Funk und auf was immer man gerade Lust hat. Neu dabei ist stets die aktuelle Wahl der Samples, der popkulturellen Bezugspunkte und des genauen Mischverhältnisses aus der musikalischen Gewürzküche.

SNC haben mit einem Turbo in ihrer Musikkarriere gestartet, ziemlich viel in ziemlich kurzer Zeit herausgebracht und sich dabei nicht ständig neu entdeckt. Ganz im Gegenteil; klanglich sind sie unverkennbar, und mit einem starken Fokus auf der Lyrik und einem hohen WPM*-Zähler mag das ganze schnell in Gleichförmigkeit verschwimmen. Es ist nicht wirklich von Bedeutung, von den fünf Minialben das eine oder andere verpaßt zu haben, denn hat man eines gehört, weiß man ja so ungefähr, was auf den anderen drauf ist - eine Kritik, so es denn eine ist, die sich gegen viele Gruppen erheben läßt.

Was SNC davon erhaben macht, ist ihre grundsätzliche Originalität und die Konsequenz, daß es von ihrer Musik ganz allgemein eher noch zuwenig als zuviel gibt. Das jüngste Album ist da als eine Art Best-of dessen, was SNC auszeichnet, ein hervorragender Einstieg. Dazu gibt es das Versprechen, daß jenen, die dabei Blut lecken, beim Durchhören der Diskographie eine Vielzahl nuancierter Verzückungen erwarten. SNC sind besonders gut darin, mit verschiedensten Genres zu flirten und ihnen allen dabei Koumais Stimme aufzudrücken. Das Ergebnis ist in jedem Fall eine Geschmacksexplosion. Ob Kaviar oder Komposthaufen, muß der geneigte Hörer aber wie immer selbst entscheiden.

*words per minute

Top 10 2015

 

Alle Jahre wieder geht das Jahr zu Ende. Nichts ändert sich. Zeit, Hirn und Herz auszuschalten und sich von der Lügenpresse die Erinnerung verblenden zu lassen. Im Internet, wo Verweise und Quellen flexibel und vergänglich sind, sind der Manipulation keine Grenzen gesetzt. Hier auf dem Block passiert es freilich nicht, daß Texte nach Erscheinen verbessert werden, denn das hieße ja, sie seien nicht von Anfang an perfekt gewesen. Sind sie aber, genau wie diese Top 10 Liste.

KEIN SPORT
Absolut gar nichts von Bedeutung ist auch dieses ungerade Jahr wieder im Sport passiert. Eine Randnotiz auf dem Radar der Erinnerungen, und doch so wichtig. Zu selten darf man sich über dieses Gefühl der Unbeirrtheit freuen. Darauf, nicht durch besinnungslosen Jubeltrubel abgelenkt zu werden von den schönen Dingen des Lebens. Das selbst ist schön und hat alle zwei Jahre einen festen Platz auf jeder Top 10 Liste verdient.

ENDLICH WIEDER RICHTIG SOMMER
Das Christkind war da! Es hieß El Niño, kam aus Spanien und sorgte für T-Shirt Wetter unter dem Baum, den man grummelnd mit Rasierschaum besprüht, um den Kleinen was zu bieten. Ist das noch Weihnachten? Und was ist überhaupt Weihnachten? Hier müßte eigentlich eine Kapitalismuskritik folgen. Aber man weiß ja Bescheid. Außerdem ist es jetzt wieder kalt, man kann also bei Bedarf nachfeiern.

WII U
Nintendo hat alle Hebel in Gang versetzt, so daß es für ihre große Flopkonsole inzwischen über drei Spiele gibt. Man kann jetzt also bedenkenlos kaufen, um dann all die guten Games zu ignorieren und auf einem inzwischen hoffnungslos veralteten Browser das dennoch komfortabelste Dual-Screen-pr0n-Erlebnis aller Zeiten zu haben. Ein Gerät für die ganze Familie.

YOLO IST DAS NEUE WAYNE
Wenn Netzkultur ins wahre Leben übertritt, ist es um die Nutzkultur geschehen. Was immer es mal bedeuten sollte, YOLO ist phonetisch einfach zu schmissig, um es nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit unreflektiert rauszukloppen. Der Kontext ist dabei stark wayne, was YOLO eben selbst zum Wayne macht. Möglich, daß es sogar exakt dasselbe bedeutet, aber wer weiß das schon.

NIVEAU WESHALB WARUM
Fast lustiger als Star Wars, aber hinter einer größeren intellektuellen Einstiegshürde reimen Deichkind ihr bislang bestes Album daher. Und daß sie Ferris immer dabei haben, macht sich allem zuvorderst auf den Instrumentalversionen positiv bemerkbar. Als Geschmacksurteil muß diese Aussage nicht weiter belegt werden.

BLÜMCHEN OFFICIAL
Endlich ist es soweit: Alle Blümchen Videos & mehr auf einem Youtube Kanal zentralisiert. Ob das wirklich official ist, läßt sich innerhalb weniger Sekunden nicht abschließend klären, ist aber auch egal, weil Blümchen. Jetzt kann jeder sagen: Heut' ist mein Tag, jeden Tag.

NETHACK
Das Roguelike (der Roguelike? Die Gaunerhaft?) als Solche/r/s hatte Nethack in Sachen Komfort und Transparenz spielerisch längst abgehängt - man war gefühlt langsam in den Neunzigern angekommen. Nun ist nach fast, aber eben doch nicht ganz genau 12 Jahren Version 3.6.0 erschienen. Geändert hat sich außer der Code-Struktur wenig. Das hört man zumindest. Man hat ja schon ein paar Mal die Himmelfahrt angetreten, wie man unter Kennern sagt. Da kann eine neue Version auch mal warten. Trotzdem: Ein Wunder. Frohen Hack!

IRGENDWAS MIT FLÜCHTLINGEN
And the world keeps on spinning.

MEIN BLOCK
War ja klar. Das mußte ja kommen. War quasi unumgänglich. Würden wir hier gerne behaupten, in Wahrheit aber ist das schon eine Riesenüberraschung: Nach Jahren des Darbens ist Mein Block ganz offiziell und ohne GEMA-Sperre auf Youtube sichtbar. Zwar leider nur als amerikanisierte Version ohne böse Worte, doch immerhin ist die Zensur klug implementiert und piepst nicht einfach nur fade umher. Was damals gut war, ist heute das beste.