Salyu in the Salyu ARISE

 

GHOST IN THE SHELL ist irgendwie immer gut. Selbst die jüngste Bemühung in Form der 2013 gestarteten vierteiligen OVA namens ARISE hebt sich qualitativ klar aus dem Animeeinerleiheitsbrei ab, obgleich diese weder mit der komplexen politischen Intrige der STAND ALONE COMPLEX Serie, noch mit dem neophilosophischen Geschwurbel der beiden Filme von Mamoru Oshii mithalten kann und überhaupt insgesamt ein sehr viel weniger scharfkantiges Bild der gewohnten Cyberpunk-Dystopie zeichnet. Natürlich findet auch in ARISE das Konzept vollvernetzter Hirne und elektronischer Bewußtseinserweiterung vollste Anwendung, aber alles ist ein wenig simpler gehalten und mehr auf Action bedacht. Trotzdem: Ein gutes Stück Anime und seines Namens nicht unwürdig.

Soweit, so streitbar. Womit der Pöbel aus den Anime-Foren allerdings vollständig unrecht hat, ist seine Ablehnung des Titel-Songs.

Cornelius macht schon eine ganze Weile Musik, und wer das Subgenre Shibuya-kei recherchiert, stößt unweigerlich auf seinen Namen. Seine avantgardistischen musikalischen Ideen - meist minutiös konstruierte Stücke aus Samples und Staccato-Zupfern - passen hervorragend ins Futur von GHOST IN THE SHELL. Zudem gibt es auf diesem Soundtrack auch noch das Stück JIBUN GA INAI [じぶんがいない], eine Verlängerung seiner Zusammenarbeit mit der musikalisch ansonsten wenig nennenswerten, hier jedoch hervorragenden Popsängerin Salyu, mit welcher er 2012 das fantastische Album s(o)un(d)beams unter dem Namen salyu × salyu produzierte. Jenes trägt die musikalische Signatur des Cornelius - in diesem Falle werden Wortschnipsel zu Rhythmen zusammengefügt, und Salyu singt Harmonien mit sich selbst. Nur live nicht - da gibt es echte Zweitstimmen, sichtbar auf einer ganzen DVD zum Thema.

Für Leute, die wissen, wie sich deutsche Youtube-Blockaden umgehen lassen (oder einfach ganz woanders sind), kann das folgende Video alles erklären. Danke Youtube. Danke GEMA. Danke Japan.

Großvaters Rache aus der Unterwelt

 

Das Vibrieren in den Fingern, das schäbige Jucken machte den Schwammverkäufer wahnsinnig. Doch er biß sich hindurch; er mußte. Bauer Garonk stand ihm gegenüber und verlangte, bedient zu werden.

"Zeig mir deine Ware."

Es war ein stechender Schmerz, welcher den gepeinigten Verkäufer durchfuhr. All diese Entscheidungen, die er getroffen hatte, man siehe nur, wohin sie ihn geführt hatten!

"Hier!"

Bauer Garonk zeigte sich noch nicht einmal beeindruckt. Kritisch reckte er seine dicken, fettigen Finger nach der feilgebotenen Ware und knetete darauf herum. War es Genuß oder Ekel für ihn, man erkannte es nicht, insbesondere nicht der Anbieter. Bauer Garonk grummelte unverständliches Zeug.

"Wie meinen?", erdreistete sich der Verkäufer zu fragen.

"Mangelhaft. Absolut."

Das war es dann wohl gewesen. Es war alles aus für den Schwammverkäufer. Jahre der Vorbereitung und Anstrengung waren in einem Augenblick voll Verachtung zertrümmert worden. Die gemeine Faust Bauer Garonks war die vernichtende Kraft, derer des Schwammverkäufers Werk anheim fiel. Aus ihren Seiten quoll die imperfekte Ware wie Leberwurst und röchelte, triefte ihren Odem auf das staubige Kopfsteinpflaster.

Hinter des Schwammverkäufers Stand knarrte die Tür des gewaltigen Zedernholzwandschranks. Großvaters Skelett hatte sich erhoben und wandelte wieder unter den Lebenden! Glücklicherweise aber ging es sogleich friedlich seines Weges. Auch Bauer Garonk wandte sich ab, die weiteren Stände zu begutachten.

"Sie! Eines Tages werden Sie noch bezahlen für Ihre Insolenz! Sie werden schon sehen!" fluchte ihm der Verkäufer nach.

Verwunderten Blickes richteten die vorbeigehenden Marktbesucher ihre Augen nach des Schwammverkäufers Stand. Das Mienenspiel desselben lenkte sogleich ein und suchte sich wohlig lächelnd in die Brieftaschen der Passanten zu schleimen.

"Schwämme, die Herrschaften? Heute Sonderangebot, treten Sie näher…"

ENDE!

A GIRL AT MY DOOR: Von schlechten Eltern

 

Damals: Heat. Eine Ausrede, zwei der größten Stars seiner Zeit (Al Pacino und Robert De Niro) einmal zusammen auf die Leinwand zu bannen. Das Ergebnis ist ebenso unterhaltsam wie stupid und reicht nicht weit über seinen Event-Charakter hinaus.

Heute: Doona Bae vs. Sae-ron Kim in July Jungs A GIRL AT MY DOOR (Dohee-ya). Ok, der Vergleich ist vollständig unbrauchbar und natürlich nur eine Ausrede, beiläufig einmal über Heat geschumpfen zu haben. Denn zwar sind hier zwei der besten koreanischen Schauspielerinnen erstmals gemeinsam in einem Film zu sehen - doch wer kennt schon koreanische Schauspielerinnen, und wen interessiert's? Es sollte, denn der Film ist ganz und gar hervorragend.

Doona Bae ist vielleicht die einzige Landsfrau ihrer Profession mit internationalem Mainstream-Profil, seit sie in Cloud Atlas mitspielen durfte, kürzlich dann noch einmal in Jupiter Ascending. Siehe da, plötzlich weiß jeder Bescheid: natürlich, die eine da. Für Freunde des japanischen Films ist sie als zum Leben erwachte Sexpuppe in Hirokazu Koreeda's Air Doll bekannt. Zuhause jedoch spielt sie meist etwas bodenständigere Rollen. Ihr größter Charme ist dann auch ihre Natürlichkeit, sowohl im Schauspiel als auch in ihrer unkonventionellen physischen Attraktivität, insbesondere unter Koreanern, deren typischem Schönheitsideal sie in keinster Weise entspricht. Beachtlich ist das Spektrum, das die ungelernte Schauspielerin mit ihren Mitteln auf die Leinwand bringt, oft als gesellschaftliche Außenseiterin.

Diesmal ist sie Young-Nam, Polizeichefin. Nach ihrer Versetzung aufs Land, die einem nicht konkretisierten Zwischenfall in ihrer vorherigen Position folgt, wird sie schnell auf das Mädchen Dohee (Sae-ron Kim) aufmerksam. Erst rettet sie sie vor hänselnden Mitschülern unterwegs, dann vor der Hand des alkoholisierten Ziehvaters Yong-Ha (Sae-Byeok Song) daheim. Die zunächst verschüchterte Dohee schließt schnell zu ihr auf und entwickelt eine problematische Anhänglichkeit. Young-Nam indes weiß keine klare Grenze zu ziehen, läßt Dohee bei sich wohnen und gerät auch außerhalb des familiären Konflikts immer wieder mit Yong-Ha in Konfrontationen.

Sae-ron Kim hat die Rolle der gepeinigten Minderjährigen gepachtet. Ihren ersten Auftritt hatte sie 2009 als Neunjährige in Ounie Lecomtes A Brand New Life als Mädchen, das eines Tages ohne Vorwarnung von ihrem Vater in ein Heim gebracht wird, um dort fortan auf ihre ausländische Adoption zu warten. Die Kamera folgt darin der Laiendarstellerin während der gesamten Laufzeit - Kim ist das zentrale Objekt des Films, und so liegt es an ihr, die gesamte emotionale Sogkraft des Films in ihrem Schauspiel zu entfalten; eine Aufgabe, der sie auf spektakuläre Weise gerecht wird.

Selten hat man das Glück, eine so überzeugende Kindsdarbietung zu beobachten, und so darf man der jungen Sae-ron Kim dankbar sein, eine Karriere aus ihrem Talent zu machen, wenngleich die Qualität ihrer bisherigen Filmographie noch etwas durchwachsen ist. Ein Tiefpunkt ist Barbie (2011), der ihr Können in einer Geschichte karrikativ überzeichneter Bösartigkeit und an der Seite schmerzhaft unbegabter englischsprachiger Darsteller verschwendet. Auch hier ist sie eine verlassene, ungeliebte Tochter.

Und nun schon wieder in A GIRL AT MY DOOR. Der Originaltitel DOHEE-YA verweist schon darauf, daß wieder sie im Mittelpunkt steht. Glücklicherweise aber wird die Protagonistenrolle diesmal von Doona Bae eingenommen. Bae muß nichts mehr beweisen und verkörpert ihre Rolle mit dem erwachsenen Understatement einer Schauspielveteranin. Dies gibt Sae-ron Kim Gelegenheit, ihre Opferrolle um eine faszinierende Rätselhaftigkeit mit antagonistischen Zügen zu erweitern.

Schuldzuweisung auf Opfer häuslicher und/oder sexueller Gewalt und die Priorisierung des guten Rufs von Gemeinden und Institutionen über die Belange der Opfer ist ein Problem, welches der koreanischen Gesellschaft nicht fremd ist, sofern man die filmische Behandlung des Themas als Indikator heranzieht. Niemand in DOHEE-YA weist der Titelfigur die Schuld an ihrer Mißhandlung zu, doch der perfide Kniff des Films ist es, den Zuschauer selbst in die unangenehme Position zu bringen, den Charakter des Mädchens zu hinterfragen. Sie scheint nicht ganz normal. Sae-Ron Kims Figur ist komplexer als gewohnt, bewegt sich mühelos zwischen den Gemütszuständen, spielt mit der Sympathie des Zuschauers und zementiert Kims Status als Ausnahmetalent.

Allein im Umgang mit dem kriminell gewaltbereiten Ziehvater zeigt sich die Schwäche gesellschaftlicher Standards und die Inkonsequenz der Staatsgewalt. Statt einer Verhaftung gibt es lange nur Verwarnungen. Young-Nams Polizeikollege betont die Wichtigkeit Yong-Has für die Ökonomie der kleinen Gemeinde und meint, der Alkohol sei an allem Schuld - das Symptom als Ursache. Er weiß nicht, daß Young-Nam selbst ohne Alkohol nicht schlafen kann.

July Jung macht fast alles richtig. Ihr Film adressiert soziale Themen, ohne die Moralkeule herauszuhohlen und bleibt im Kern eine intime Geschichte über eine Gruppe gebrochener Charaktere. Wie fast alle koreanischen Filme, egal ob große Blockbuster oder kleine Indiestreifen, kann auch A GIRL AT MY DOOR hervorragende Produktionswerte vorweisen. Anders als viele Filme des Landes jedoch, die sich beinahe dogmatisch um eine Laufzeit von ungefähr zwei Stunden bewegen, ist dieser mit einer ähnlichen Laufzeit keinen Moment zu lang. Als Kritikpunkt bleibt einzig das Drehbuch übrig, welches zwar in seiner Dramaturgie und eben der Zeitökonomie ebenfalls sehr effektiv ist, an einigen wenigen Stellen jedoch ein wenig Subtilität vermissen läßt und teils zu offensichtlich eine bestimmte Sichtweise auf seine Figuren präsentiert.

A GIRL AT MY DOOR ist empfehlenswert für Fans von Doona Bae, Sae-Ron Kim, koreanischem Kino und vor allem Filmen allgemein, leider aber noch nicht lokal erhältlich. Immerhin ist der in Cannes 2014 nominierte Film seit Weihnachten letzten Jahres schon mal als englisch untertitelter Import erhältlich.

Über den Tellerrand

 

Ich werde gerade mit Essen begonnen haben, als das Telefon klingeln wird. Ich werde mir einen großen Löffel zur Hand nehmen und zum Tellerrand hinüberpaddeln. Dort werde ich dann sitzen und warten, bis das Telefon zu klingeln aufhört. Doch es wird nicht aufhören, jemand will mich mit Nachdruck zum Gespräch auffordern, die Person aber bleibt im Dunkeln. Meine Wut formt einen Klumpen im Hals, welcher sich bald als saftiges Crouton in der Suppe wiederfinden wird. Ich kann nicht wissen, wer es ist, ohne der unbekannten, in jedem Fall aber verhaßten Person meine mentale Niederlage einzugestehen. So ergibt sich aus jedem klingelnden Telefon ein Paradoxon Politikum, besser bekannt als Loch im Raumzeitgefüge. Dies Ärgernis schwerwiegender Art wurde schon von den Römern als Germanicus-Loch definiert. Es bewirkt einen Wutpegel, der ultimativ durch einen sich entfernenden Pfropfen gesenkt werden muss. Die dabei entstehenden Strömungen erreichen zuweilen gefährliche Turbulenzen.

Ich stelle meine Stirn auf rot, als ich mit glühender Faust rachetrunken und verbal auf den Angreifer einprügele. Ich lasse meinen gesamten ekstatisch angehäuften Dissenz vom Stapel, bis durch die Leitung nur noch ein weinerliches Röcheln zu vernehmen ist. Auf einmal tut es mir leid. Ich nehme mich zurück und bereue diesen Hinweis auf Anteilnahme sofort. Also lege ich noch mal los, heftiger, Stoß um Stoß. Die Welle der Gewalt bauscht sich auf und droht zu einer Massivität mit Potential zur Überschwappung zu gelangen. Im Zuge ihrer rasenden, zentrisch extrudierenden Fahrt nimmt ihre Toleranzkurve immer mehr ab, bis sie, am Rand angekommen, schließlich gewaltig genug ist, die Oberflächenspannung zu durchbrechen und alles, einschließlich meiner eigenen Erscheinung, vom Angesicht der Erde zu spülen.

Zu diesem Zeitpunkt baumeln meine Füße bereits ganz relaxed vom Rand herunter, denn den letzten Teil habe ich zum Glück nur geträumt. Cocktailschlürfend liege ich in der wohlverdienten Caprisonne. Ich habe gesiegt, wieder gesiegt, ich bin unglaublich gut und weiß das auch. Arglos lausche ich dem leisen Blubbern und Gackern der Hühnerbrühe. Natürlich habe ich dabei eine Sonnenbrille auf.

Dies ist der richtige Augenblick, um die Gedanken schweifen zu lassen, wie ich befinde. Also lasse ich mir schnell einige sehr intelligente und humorvolle Primzahlenreihen durch den Kopf schießen, gerate dabei für einen Augenblick in ein wahrscheinlich leicht apathisch wirkendes Grinsen. Als ich fertig bin, fallen mir noch einige Ungereimtheiten auf, und so verwundert es wenig, dass mich jene mit einer Frage zurücklassen.

Ein Sturm zieht unbemerkt auf und ich merke, wie ein Sturm aufzieht. Es wird Herbst. Ich habe meinen Hunger bereits ganz vergessen, als ich nach hinten wegkippe und durch meinen Zustand erhöhter kinetischer Energie in das Eis einbreche. Prustend wie ein Walroß und behände wie ein Leopard kralle ich mich am Tellerrand fest. Der Tellerrand jedoch gibt nach, zieht den an ihm befindlichen Teller nach und sorgt in seiner Kippbewegung für eine spontane Innen-/Außenraumumstülpung, an deren Ende ich plötzlich am Boden liege. Wie zerronnen, so gewonnen! Ich habe einen neuen Hut aus Porzellan. Die Soße taut langsam aus meinem Porzellanhut heraus und verleiht meiner Haut einen attraktiven perlmuttenen Teint. Meine Zunge lugt nervös heraus, gleitet in einer fast züngelnden Bewegung über Nachbar Lippe und erhascht einige Tropfen des kühlen Elixiers. Mit einem Mal ist die Frage von zuvor vergessen. Lecker!

ATOM HEART MOTHER: Nukulare Implosion

 

Was will uns der Künstler damit sagen? Jedenfalls war alles nur ein Traum. Diese Enthüllung ist ATOM HEART MOTHER (Madare Ghalb Atomi) vorangestellt. Der Träumer: Wir werden seinen Namen nie erfahren, sagt die Texttafel. Aber sicherlich handelt es sich doch um Regisseur/Autor Ali Ahmadzadeh?

Zwei Freundinnen brechen auf, um eine Nacht lang in ihrem dicken Oberklasseschlitten ziellos durch Teheran zu cruisen, und sind dabei die Coolsten. Bis sie zu sehr zu Michael Jackson abhotten und einen anderen Verkehrsteilnehmer rammen. Dieser läßt sich gerne für den Schaden ausbezahlen, doch die Automaten spucken diese Nacht kein Cash aus. Ein Fremder hilft, bezahlt den Mann und erwartet dafür, ein wenig durch die Gegend gefahren zu werden. Leider scheint er nicht ganz sauber zu sein.

Aha, klassisches Horrorklischee. Junge, attraktive Hedonisten geraten in die Klauen eines wahnwitzigen Killers. Aber ganz so direkt ist ATOM HEART MOTHER (Atomic Heart) nicht. Und darum geht es auch gar nicht. Die Thrillerelemente, die im Laufe des Films heraufschwappen, sind auf einer Linie mit dem thematischen Überbau, der in seiner leichtfüßigen, komödiantischen Frühphase errichtet wird. Er taucht die Frage nach der iranischen Atombombe in träumerische Surrealität. Des Regisseurs filmisches Alter Ego, ein Freund der zwei Mädels, fährt ein Stück mit und erzählt einen Traum vom verzweifelten Drang, seine Zigarette zu entflammen - und wie das brennende Teheran die Lösung seines Problems ist.

Überhaupt wird viel gelabert. Es ist ein Laberfilm, der zum Großteil im Inneren eines Autos stattfindet, ein Auto, das durch politische Landschaften streift und dessen kokonartige Abschottung zur Außenwelt dabei nach und nach kompromittiert wird. Glücklicherweise findet dabei gerade noch genug Handlung statt, um den Zuschauer bei der Stange zu halten und sich nicht vollends in den abstrakten Gedankenwelten seiner Protagonisten zu verlieren.

ATOM HEART MOTHER: DER FILM ist ein faszinierendes narratives Experiment, technisch kompetent, wahre Künstlerkacke, und hat sich das Prädikat Avantgarde redlich verdient.

K: Paß auf meine Eier auf

 

Franz Kafka (K) war ein Autor, dessen exzessiver Lebensstil ihn 1924 mit nur 40 Jahren das Leben kostete. In seiner Autobiographie Das Schloss beschreibt er nebst seiner problematischen Beziehung mit den Autoritäten auch sein von Sex bestimmtes, aber streßvolles und letztlich emotional unbefriedigendes Lotterleben. In dieser filmischen mongolischen Coverversion "K" haben wir daher das Glück, die junge, attraktive Darstellerin Jula in der Rolle als Ks Geliebte Frieda nackt zu sehen, zumindest ein Stück weit. Der Dank gilt den Regisseuren Erdenibulag Darhad und Emyr ap Richard, die das Buch einzig zu diesem Zwecke adaptiert haben.

Übersetzung: Der Film entstand als Vehikel für das schauspielerische Talent der Inneren Mongolei (China), und alle mögen und lesen Kafka, auch dort. Und wenngleich das gegenwärtige mongolische Setting einzigartig unter Kafka-Verfilmungen ist, haftet ihm, von der Sprache abgesehen, nichts eigentümlich mongolisches an. Und selbst diese ist irgendwie irrelevant, denn schließlich ist dies doch nur eine universelle Geschichte in der universellen Sprache des Films. So oder so ähnlich stellen die Filmemacher sich das zumindest vor.

Der Haken daran ist, daß die Sprache in K wenig filmisch, aber sehr literarisch ist. Dialoge aus dem Roman werden ohne großen Einfallsreichtum und ohne Einsatz originär filmischer Mittel vorgetragen. Schauspieler sitzen oder stehen gemeinsam in einem Raum und leiern Zeilen herunter. Nichts passiert, noch weniger als im Text. Die Figuren sind emotional unterkühlt und abstrakt, noch mehr als im Text. Doch während ein Buch seinem Leser die Kontrolle über das Tempo läßt, ist der Film in jedem Fall nach 86 Minuten zu Ende - soweit von Ende gesprochen werden kann, denn das Buch hat ja bekanntermaßen gar kein Ende, was natürlich seiner autobiographischen Natur geschuldet ist. Fazit: das alles ist wahnsinnig anstrengend und bietet Vertrauten keine neue Perspektive auf Kafka oder dessen Werk.

Für Unvertraute: Titelheld K (Bayin) kommt im Dorf ohne Namen an, bestellt vom Schloss, unter dessen Herrschaft das Dorf steht, um als Landvermesser zu arbeiten. Doch es gibt keine Arbeit, und die Dorfbewohner nehmen den Fremden nur widerwillig auf. Seinen Vorgesetzten Klamm, der nicht bei seiner immens wichtigen Arbeit gestört werden darf und dessen angebliche Geliebte Frieda bald mit K anbandelt, bekommt er nie zu Gesicht. Bei seiner Mission, Klamm oder anderer Offizieller des ominösen Schlosses habhaft zu werden, um endlich seine Arbeit aufnehmen zu können, stößt K auf mehr und mehr Widerstand.

Immerhin darf sich der Film rühmen, die erste mongolische Übersetzung von Das Schloss bereitzustellen - ursprünglich mußten die darin Beteiligten dieses ja auf mandarin lesen. Für das mongolischsprachige Publikum somit in jedem Fall ein Gewinn, für hiesig Belesene jedoch nur von zweifelhaftem Mehrwert.

BODY: Die Kraft der Normalität

 

Mit teils trockenem Humor, so trocken, daß Lachen eigentlich keine Option ist, zeigt Malgorzata Szumowska, Gewinnerin eines silbernen Bären für beste Regie, einen Ausschnitt aus dem Leben von Staatsanwalt Janusz (Janusz Gajos) und seiner magersüchtigen Tochter Olga (Justyna Suwala). Bis es zum Schluß doch nicht anders geht und sich die Mundwinkel unweigerlich in die Wangen hinaufschieben.

Der Tod der Mutter vor fünf Jahren hat einen Keil durch die Beziehung der beiden getrieben; das Zusammenleben ist schwierig. Als Janusz, von Tod und Ekelhaftigkeit in seiner täglichen Arbeit gänzlich unbeeindruckt, seine Tochter nach einer Kotzepisode bewußtlos auf dem Badezimmerboden vorfindet, bringt er sie in ein Krankenhaus, wo sie von der Therapeutin Anna (Maja Ostaszewska) betreut wird, die nebenbei auch als Medium arbeitet und Briefe aus dem Jenseits empfängt. Auch sie hat einst jemanden verloren.

Verlustbewältigung ist die Thematik in BODY (Cialo), die Handlung verweilt aber ganz beim Alltag ihrer Protagonisten. Primäres Studienobjekt sind nicht die Beziehungen zu den Toten, sondern die Spätauswirkungen des Todes auf die Beziehungen zwischen den Hinterbliebenen. Der Film verhält sich still und ist ungeheuer effizient dabei, das Innenleben seiner Figuren auf der Leinwand auszubreiten. Viel passiert nicht, und doch sind alle Beteiligten immer interessant und nachvollziehbar, was sich freilich nicht allein auf die ausgelobte Regie zurückführen läßt, sondern mindestens ebenso ein schauspielerischer Verdienst ist; das Leben gewöhnlicher Menschen in schwierigen Umständen wird mit voller Authentizität dargestellt.

Der eigentliche Verdienst des Films liegt jedoch darin - und hier sind Autorin/Regisseurin Malgorzata Szumowska volle Punkte anzurechnen - daß sein schwerer Stoff am Ende emotional stärker zu wirken weiß, als es seine faktische, trockene und streckenweise auch etwas langweilige Erzählweise vermuten läßt. Die sich leise anschleichende Katharsis ist so effektiv, daß sie nicht nur eine glaubhafte Veränderung in den Figuren mit sich bringt, sondern auch das Wissen um sie (SPOILER) ihre Durchschlagkraft beim Publikum nicht mindern kann.